Weihnachtspredigten: die gefühlte Geburt?

Ein echtes Problem weihnachtlicher Verkündigung ist, wie wir in der Verkündigung mit einmaligen geschichtlichen Ereignissen umgehen, die vielen Hörern bekannt sind und leider auch schon ein paar Jahre zurückliegen. Technisch gesagt geht es um die Frage der Aktualisierung:

  • Da gibt es erstens den Versuch, das Ganze hypothetisch in die Gegenwart zu verlegen. Dass das nicht immer gelingt, bedeutet nicht, dass es nicht erlaubt ist. Nur muss man verstehen, dass wenn Hirten plötzlich wie Erkan und Stefan reden, nicht nur die alte Sprache weg ist, sondern auch der kulturelle Hintergrund der messianischen Erwartung, zu der unsere Gesellschaft kein Gegenstück anbieten kann. Die fehlt heute auch deshalb, weil Christen seit 2000 Jahren (mehr oder weniger) unermüdlich davon reden, dass er schon gekommen ist. Er muss also nicht noch einmal geboren werden, und wo immer der Anspruch erhoben würde, wären Christen die ersten, die versuchen, da wieder die Luft abzulassen. Es ist schlechterdings unwiederholbar.
  • Die andere Option ist: wir lassen die alte Geschichte so stehen und destillieren eine bestimmte Moral heraus. Die kann sozial sein: „Kümmere dich um die Armen“. Oder ein Appell an die Motivation: „Stell dich Gott so bedingungslos zur Verfügung wie Maria“. Nichts davon ist falsch. Die Frage ist nur: Was ist daran Zuspruch einer guten Nachricht? Und ist es fair, solche Ausnahmesituationen zur Norm zu erklären?
  • Dritte Möglichkeit: Wir vergeistlichen das Ganze und drängen auf das innere Nachvollziehen. Ein Predigttitel aus dem Internet dazu: „Der Stall in uns“ (den Text dazu habe ich nicht gelesen). Das bekannte Motto stammt von Angelus Silesius: Christus könnte tausendmal in Bethlehem geboren sein, er muss in Deinem Herzen geboren werden. Mit Verlaub: das ist Nonsens. Jesus muss genauso wenig in meinem Herzen geboren werden, wie er in meinem Herzen gekreuzigt werden muss. Beides ist schon geschehen – ein für allemal. Wenn jemand „wiedergeboren“ werden muss, dann sind es nach Auskunft des Neuen Testaments wir. Es geht nicht darum, eine geschichtliche (und damit äußere) Wahrheit innerlich zu emulieren oder sogar zuallererst entstehen zu lassen. Das Problematische dieses (im Ansatz narzisstischen) Denkens ist die Implikation, dass etwas nur „wirklich“, „gültig“ oder „echt“ ist, wenn es in meinem inneren Erleben und Gefühl stattfindet.

Dieses Problem haben wir viel zu oft: Wir blenden aus, was keine unmittelbare Betroffenheit und Resonanz in unserem Inneren auslöst. Wenn der Winter ein Jahr mal wieder kälter ausfällt, der Klimawandel für uns kein gefühlter mehr ist, dann werden wir träge. Ganz ähnlich verfahren wir in anderen Lebensbereichen: So lange uns bestimmte Kollateralschäden unseres Handelns nicht direkt betreffen, existieren sie auch nicht. Das gilt für das ächzende Bildungssystem (auch da dauert es Jahrzehnte, bis Versäumnisse spürbar werden) wie für unsere zwischenmenschlichen Beziehungen, in denen wir den anderen Menschen nur als Verlängerung und Erweiterung des eigenen Egos betrachten.

Aus eben dieser Gefangenschaft des homo incurvatus will uns das Evangelium ja befreien: Alles hängt jedoch davon ab, dass etwas in der äußeren Welt geschehen ist, das diese Welt in ein neues Licht taucht, das sie in ihren Fundamenten erschüttert und unwiderruflich verändert hat, und zwar auch dann, wenn ich es ignorieren würde oder bei dem Gedanken daran gerade vor lauter Weihnachtsrummel gar nichts empfinde. Ich muss mich nicht einmal um mein frommes Gefühl drehen. Es versagt ohnehin ständig.

Daher gilt auch an Weihnachten: Der erwachsene Christus klopft bei uns an und möchte eintreten. Kein Christkind, sondern der Auferstandene. Wir sind bereits im nächsten Akt des Dramas: Gottes Geist ist in der menschlichen Geschichte am Handeln. Weihnachten gibt uns einen Hinweis darauf, wo wir ihn finden: Bei den Kindern, den Armen, den Heiden, den Verlierern. Aber auch bei allen, in denen die Hoffnung lebendig geblieben ist, dass Gott seine großen Verheißungen erfüllt – und die deshalb nach Gerechtigkeit hungern und dürsten.

Die Krippe ist dabei (von Paulus von Philipper 2,6ff her verstanden) auf der einen Seite der erste Schritt in Richtung Kreuz. Auf der anderen Seite ist die Menschwerdung Gottes der erste Schritt zur „Vergöttlichung“ des Menschen (so sagten es die griechischen Väter – wir sagen: ewiges Leben) und zur Neuschöpfung der Welt. Und die steht noch aus.

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