Bekenntnisse auf dem grünen Rasen

Letzte Woche hatte ich eine kleine Korrespondenz mit einem Blogleser, den das Verbot von (bestimmten) Glaubensäußerungen bei der Fußball-WM störte. Schränkt die FIFA die freie Religionsausübung ein? Ich habe eine Weile nachgedacht und sehe das Thema mit sehr gemischten Gefühlen:

Erstens ist die WM auch ohne Jesus-lebt-T-Shirts unter dem Trikot voller kleiner Gesten: Akteure bekreuzigen sich oder bilden eine Gebetsrunde auf dem Platz. Maradona hat vorgestern acht Kreuze geschlagen. Oder war es einfach nur ein nervöses Fingerzucken, das er nicht abstellen kann?

Zweitens begeistern mich nicht alle Christen: Wenn jemand sich bei der Einwechslung demonstrativ bekreuzigt und dann Ellbogenschläge verteilt oder einen Gegenspieler umsäbelt, auf die Gefahr hin, dass der sich verletzt, dann bringt er damit auch Gott in Verruf, mit dem er sich identifiziert hat.

Drittens scheint mir manches (z.B. bei Maradona, von dem in seiner aktiven Zeit in Neapel angeblich Bilder aufgestellt und Kerzen davor angezündet wurden) eher mühsam verbrämter Aberglaube zu sein: eine Art magisches Ritual – der Versuch, (den Fußball-)Gott zu bestechen oder auf die eigene Seite zu ziehen.

Viertens bin ich froh, dass keine Parolen auf den Unterhemden erscheinen. Was hätten wohl die Nordkoreaner geschrieben? Oder die Algerier? Es gibt Anlässe, da gehört so plakative Werbung nicht hin. Auf einer Beerdigung oder im Bundestag fände die wenigsten von uns so etwas gut – zu Recht. Was jemand in einem Interview sagt, ist ihm sowieso freigestellt, auch von der FIFA. Es bleibt also genug Raum für öffentliche Bekenntnisse, aber eben nicht in jeder Form.

Das eigentliche theologische Dilemma scheint mir aber zu sein: Welche Rolle spielt Gott beim Ausgang eines Spieles? Wird die WM primär im Gebet und erst sekundär auf dem Platz entschieden? Lässt Gott sich vor den eigenen Karren spannen oder hält er sich schön heraus und lässt die Besten gewinnen? Trübt göttliche Vorsehung den Blick und lenkt das Urteil des einen oder anderen Schiedsrichters oder sind da finstere Mächte am Werk? Reichlich Platz für Spekulationen und Streitereien.

Ich würde es dabei belassen: Ein Fußballer ehrt Gott vor allem, indem er gut und fair spielt. Abgesehen davon sind Gottes Wege unergründlich, und das ist wenigstens bei einer Fußball-WM gut so.

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Bringt das was?

Die SZ hat die Oma von Thomas Müller interviewt. Erna Burghart spricht über ihr Leben und den berühmten Enkel. Diese Passage fand ich besonders nett:

Burghart: Ich verstehe ja nicht viel vom Fußball und habe auch bei früheren Spielen immer nur dann weitergeschaut, wenn der Thomas nicht ausgewechselt wurde. Aber diesmal habe ich alles bis zum Ende angesehen, mit einer Kerze auf dem Tisch.

SZ: Mit einer Kerze? Bringt das was?

Burghart: Schon. Nur diesmal habe ich vergessen, die Kerze anzuzünden. Mich wundert selber, dass es trotzdem geklappt hat.

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Vorformulierte Gebete?

Neulich erklärte mir jemand in einem Gespräch seine Abneigung gegen vorformulierte Gebete. Eine Weile später fiel mir auf, dass dieselbe Person mit Begeisterung Lobpreislieder singt. Die allerdings bestehen – nimmt man mal die Musik weg – aus … vorformulierten Gebeten! Also singen ja, sprechen nein?

Das ist der Punkt: Man kann Gebete nur gemeinsam sprechen, wenn sie vorformuliert sind. Frei können immer nur einzelne beten, schon auch irgendwie „miteinander“, nur eben nicht unisono. Vorformulierte Gebete machen aber genau das möglich. Ich denke, sie sind ein Schatz: Wir lernen für das persönliche Gebet daraus, aber sie verbinden uns auch mit einander.

Meinetwegen singen wir sie auch, wenn’s hilft. Nur drauf verzichten sollten wir auf keinen Fall.

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Fahrradsegen

Ich war mir vorab nicht sicher, wie das Spiel gestern ausgehen würde, und hatte zum Abbau von Stresshormonen mein Rad im Zug nach Ansbach mitgenommen. Mein neues Rad, seit zehn Tagen in Gebrauch und der alten Mühle in allen Belangen überlegen. Und so machte ich mich nach dem historischen Triumph (der zwischendurch ja doch reichlich Nerven gekostet hatte) auf den Weg über die Landsträßchen nach Erlangen.

Es war wunderbar, bei leichtem Gegenwind über die Frankenhöhe zu strampeln. Die fünf Steigungen, die es auf dem Weg über Emskirchen nach Erlangen zu überwinden galt, lagen sämtlich in der ersten Hälfte der Strecke. Ab und zu zogen ein paar viel zu schnelle, deutschlandbeflaggte Rennsemmeln mit euphorisierten Fahrern vorbei, aber meistens war es sonnig und still und man konnte solche schönen Ortschaften wie Neuziegenrück (riecht auch so), die Blümleinsmühle oder Kotzenaurach (da war Kirchweih) bewundern, den Windrädern beim Drehen zusehen und den Blick über die reifen Kornfelder wandern lassen. Und dann nach zweieinhalb Stunden leicht dehydriert und mit den letzten Sonnenstrahlen meine Stadt erreichen.

Bei HFASS haben sie gestern erstmals den Fahrradsegen gespendet. Ich weiß zwar keine Details, aber die Idee finde ich genial.

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Poet und Prophet

Ab und zu scheint das nicht weit auseinander zu liegen – Walter Wink zitiert in Engaging the Powers einen Brief von D.H. Lawrence aus dem Jahr 1923, in dem dieser die Ereignisse des 2. Weltkriegs zehn Jahre vor Hitlers Machtergreifung schon beklemmend vorausahnt:

In der Nacht spürt man, wie sich in der Dunkelheit seltsame Dinge regen, seltsame Gefühle rühren sich in diesem bislang unbezwungenen Schwarzwald. Du richtest dich auf und hörst in die Nacht hinein. Man spürt eine Gefahr. Es sind nicht die Menschen. Sie wirken nicht gefährlich. Aus der Luft kommt dieses Gefühl von Gefahr, ein merkwürdiges, haarsträubendes Gefühl unheimlicher Gefahr.

Etwas ist geschehen. Etwas ist geschehen, das noch nicht eingetreten ist. Der alte Zauber der alten Welt ist gebrochen… Etwas ist der Menschenseele zugestoßen, ihr ist nicht mehr zu helfen… Es ist ein Schicksal, keiner kann es mehr ändern… Zugleich haben wir es selbst über uns gebracht – durch eine Ruhrbesetzung, durch eine englische Nichtigkeit und einen falschen deutschen Willen. Wir haben es selbst getan. Aber anscheinend war es nicht abzuwenden.

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Football’s coming home…

Torjubel

… so fühlte sich die Übertragung des Deutschlandspiels gestern auf der LED-Wand in Herzogenaurach an. Ich schätze mal, dass gut 2500 Leute den Weg zum Outlet eines großen Sportartikelherstellers gefunden hatten und dort um den Einzug ins Achtelfinale bangten.

Da saßen wir nun mit einem Freund, der bei besagter Firma arbeitet, und sahen ein Spiel (fast) am anderen Ende der Welt, bei dem zwei Mannschaften einen Ball traten und in Trikots aufliefen, die von zwei Firmen in diesem kleinen Städtchen entworfen worden waren. Globalisierung live. Hier ist der Fußball tatsächlich zuhause.

A propos: Gegen England sieht „unsere“ Bilanz ja ganz gut aus bei Turnieren – zuletzt bei der U21 WM. Statt aber die Vergangenheit zu beschwören, muss sich Jogi Löw nun etwas einfallen lassen für Sonntag. Spielt nicht Badstuber lieber Innenverteidigung, und war dort nicht ein ziemlich überforderter Kollege gestern am Rudern?

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Heute schon reformiert?

Harald Freiberger schreibt in der SZ über den Unsinn vieler Reorganisationen am Beispiel eines Stammtischbruders. Der erduldete

… erst das Säulenmodell, dann die zweidimensionale Matrix, danach die dreidimensionale, eine verschlungene Doppelhelix. Die aber stellte sich als zu kompliziert heraus und war eine Woche später wieder abgeschafft. Man kam zurück auf das Säulenmodell, aber diesmal sollten die einzelnen Säulen durch Querstreben miteinander verzahnt werden. Es war eigentlich eine schöne Zeit. Leider bekam das Unternehmen irgendwann Probleme und musste viele Arbeitsplätze abbauen.

Vielleicht liegt es nur an der Literatur, die ich lese, aber zumindest auf dem Papier finde ich auch eine verwirrende Vielzahl von idealen, zumindest aber favorisierten Gemeindestrukturen, und mit der einen oder anderen Idee habe ich auch schon meine Erfahrungen gesammelt. Aber wie wirken solche Diskussionen auf jemand, der das täglich auf der Arbeit über sich ergehen lässt und sich nichts mehr wünscht, als dass seine Gemeinde eine stabile Oase im Treibsand des Lebens darstellt?

Natürlich lässt sich die Erwartung nicht ganz erfüllen. Viele katholische Gemeinden machen zum Beispiel derzeit schmerzhafte Umstrukturierungen durch, bedingt durch Geld- und Priestermangel. Trotzdem (oder deswegen!) sollten Veränderungsprozesse in Gemeinden anders laufen als Reorganisationen in einer Firma. Und man sollte nicht denselben Fehler machen, nämlich zu glauben, dass das Heil schlicht in der neuen Struktur liegt. Wenn sich die Kultur nicht auch verändert – besser noch: zuvor schon verändert hat – wird es schwierig.

Andererseits brauchen Gemeinden zwar keine Umstürze, vermutlich aber durchaus kontinuierliche Veränderung. Je länger alles am gewohnten Platz war, desto irritierter sind wir, wenn wir es dort nicht mehr finden. Je verknöcherter wir sind, desto leichter brechen wir uns etwas, wenn wir stolpern.

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Vorbei ist vorbei. Wirklich!

Meine Frau zitierte neulich einen ihrer Ausbilder mit den Worten „es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit gehabt zu haben“. Es sind nicht die Ereignisse und Umstände, sondern deren Bewertung heute, die uns glücklich oder unglücklich machen. Martin Seligman schlägt in dieselbe Kerbe. Er kritisiert die Tendenz bei Darwin, Marx und Freud, Menschen als die Summe bzw. das Produkt vergangener Ereignisse zu verstehen. Marx und Freud bezeichnet er als Deterministen. Und er hält es für einen Irrweg, zu glauben, dass ein Stochern im Müll der Vergangenheit seelische Gesundheit in der Gegenwart hervorbringt.

In Wirklichkeit haben Studien ergeben, dass sich schwere Kindheitserlebnisse wie der Verlust eines Elternteils oder eine Trennung der Eltern, Vernachlässigung oder Misshandlung wenn überhaupt, dann nur schwach auswirken auf die zukünftige Zufriedenheit. Selbst Unfälle mit Langzeitfolgen werden innerhalb von einigen Monaten so weit verarbeitet, dass die meisten Menschen hinterher nicht wesentlich unglücklicher sind als zuvor. Sein Fazit: „Negative Kindheitserlebnisse sind nicht schuld an irgendwelchen Erwachsenenkrisen.“

Das Ganze gibt es natürlich auch wieder auf „christlich“: Dann werden Menschen nicht wie bei Jesus durch den Zuspruch von Vergebung kurzerhand befreit, sich der Gegenwart Gottes zu öffnen und eine gute Zukunft zu erwarten, sondern man lutscht die ollen Kamellen der eigenen Biografie, des Familienhintergrunds und der Geschichte von Volk und Nation ohne Ende, um darin irgendeinen verborgenen „Schlüssel“ zu finden, der Heilung und Glück ermöglicht – nicht bekannte Sünden zum Beispiel, gern auch ein paar Generationen zurück und alles andere als zweifelsfrei dokumentiert. Aber meistens kommt man nur frustriert und mit Mistgeruch in der Nase von zurück von diesen inquisitorischen Zeitreisen.

Wer den Grund für sein Unglück in der Vergangenheit sucht, an der ja nichts mehr zu ändern ist, der wir im Blick auf die eigene Zukunft passiv. Er friert ein – erstarrt wie Lots Frau zur Salzsäule. Um aus der unglücklichen Lebensgeschichte eine glückliche zu machen, können wir zwei Dinge tun, sagt nicht nur Seligman, sondern das ist alte christliche Lebensweisheit: Dankbar sein und vergeben. Beides kann man lernen, indem man es übt.

Glaube und Glück stehen übrigens auch in einem signifikanten Zusammenhang, sagt Seligman. Der entscheidende Faktor ist die Zukunftshoffnung, und er zitiert Juliana von Norwich:

Aber alle sollen gesund werden und alles soll gesund werden, und alle Arten von Dingen sollen gut werden … Er hat nicht gesagt »Du sollst den Stürmen des Lebens nicht ausgesetzt sein, du sollst keine Seelenqualen erleiden, du sollst nicht gepeinigt werden«. Sondern er hat gesagt »Du sollst nicht überwältig werden«

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Die „Illusion der Emerging Church“

Spencer Burke schreibt, dass es weder „die moderne Kirche“ gibt, noch eine wirklich fassbare Größe namens „emerging church“. Das unterscheidet sich insofern von verschiedenen anderen Abgesängen und vor allem Abrechnungen, als er um ein differenzierteres Bild der Großwetterlage bemüht ist. Die Kirche insgesamt erlebt einen tiefgreifenden Umbruch, aber in mancher Hinsicht ist auch dieser Umbruch etwas, was sich ständig ereignet.

Anstatt nun die Kontraste zu scharf und statisch herauszuarbeiten, rät Burke zum Lernen und zur Offenheit nach allen Seiten. Sein letzter Absatz gefällt mir gut:

Someday those who are defending the church today will realize that it was the loss of modernity that they were grieving. And those who are so eager to be the torch bearers for the emerging church will be left with a new institution to feed. But for some, the Church will always be the Church and she will continue to surprise us…

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Gewonnene Schlacht

Wir haben einen wunderschönen Apfelbaum im Garten, der seit ein paar Jahren tatsächlich auch Äpfel trägt. Leider wird er jedes Frühjahr von Ameisen kolonisiert, die dort Blattläuse züchten. Mit dem Erfolg, dass die ersten Blätter zerfressen und unansehnlich verkrüppelt sind. Als Gegenmaßnahme binden wir einen grünen Klebstreifen um den Stamm, den die Ameisen nicht überqueren können, ohne festzupappen.

In diesem Frühjahr war es besonders schlimm mit den Läusen. Mehrere Pflanzen waren befallen. Sogar auf dem spröden, robusten Sanddorn sah ich eifrig Ameisen marschieren. Beim genaueren Hinsehen entdeckte ich jedoch keine Läuse auf dem Sanddorn. Vielmehr führte die Ameisenbrücke – auf den Apfelbaum. Denn an einer Stelle berührten sich die Zweige, und die Ameisen hatten den Verkehr einfach umgeleitet. Auf der anderen Seite des Baumes gab es noch eine Brücke von Nachbars Felsenbirne.

Ein Schnitt mit der Gartenschere unterbrach die Verbindung. Die Ameisen liefen den Sanddorn noch ein paar Tage auf und ab – vergeblich. Regen beugte die Apfelzweige und ich musste nachschneiden. Inzwischen ist Ruhe und der Baum kann sich erholen. Ich fühle mich wie ein General, der Brücken gesprengt und so die Nachschublinien der (bösen!) Invasoren unterbrochen hat. Und grüble darüber nach, ob das nicht ein schönes Bild wäre für … ?

Vielleicht wird so ein Schuh draus – frei nach Luther: Du kannst nicht verhindern, dass Ameisen durch deinen Garten laufen. Aber du kannst verhindern, dass sie auf deinem Apfelbaum Läuse züchten.

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Akkusativ- oder Dativpredigten?

Ich denke gerade – dienstlich bedingt – über Versuchungen nach und übers Predigen. Die Schnittmenge beider Wortfelder liegt in der Versuchung zur Akkusativpredigt: Ich predige mich selbst. Meine Vorlieben und Vorurteile, meine Eitelkeiten und meinen Eigensinn. Ein Freund kommentierte neulich eine Predigt so ähnlich. Zwischen den Zeilen des gewollt lockeren Predigers kam für ihn nur heraus „schaut mal, wie toll ich bin – nicht so wie die anderen“. Ich als Prediger lerne, wenn ich dieser Versuchung erliege, bei der Arbeit an meiner Predigt nichts dazu (außer wie man sein Image geschickt poliert). Meine Zuhörer leider noch viel weniger.

Nützlicher sind Dativpredigten, und das bedeutet: Ich predige mir selber (und zugleich natürlich der Gemeinde). Da bin ich dann, wenn es richtig läuft, weder der tolle Hecht noch der arme Wurm, sondern einer, der ringt wie alle anderen. Ich muss das nicht einmal ausdrücklich dazu sagen jedes Mal, sondern ich kann mich einfach zurücknehmen. Ich werde automatisch anders reden, wenn sich das Zentrum von mir zu dem hin verschiebt, um den es tatsächlich geht. Klar kann ich nicht jede persönliche Färbung oder perspektivische Verzerrung vermeiden. Aber das Bewusstsein, dass es zwischen Gottes Wort und meinem immer eine Differenz geben wird, nötigt mir hoffentlich genug Bescheidenheit ab, und öffnet für andere eine Tür, durch die sie selbst gehen und Gott begegnen können.

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Verspielt

Vor ein paar Monaten hörte ich eine Stimme neben mir sagen: „Nanu, eben hatte ich doch noch ein Leben.“ Die Worte stammten vom meinem Sohn und bezogen sich auf ein Computerspiel, da hat man in der Regel mehr als ein Leben. Ich hingegen habe mich damals gefragt, wie viele Leute das auf ihre persönliche Biografie auch so sagen würden.

Einen kennen wir nun: BP-Chef Tony Hayward will „sein Leben zurück„. Da gibt es außer ihm natürlich ein paar Menschen mehr im Zusammenhang mit der beispiellosen Ölkatastrophe im Golf von Mexiko. Und nachdem viele deutlich schlimmer betroffen sind als Hayward, wird ihm sein Wunsch nach einem sorgen- und stressfreien Leben mit entspannten Runden auf dem Golfplatz zu Recht verübelt. Man muss sich die Dimensionen des hässlichen Flecks immer wieder mal klar machen.

Hayward hat den Unfall nicht verursacht, aber er ist für die Folgen selbstverständlich verantwortlich und wird dafür ja sehr gut bezahlt. Er darf sich seinen geregelten Alltag gern zurückwünschen, wenn zuvor auch alle Fischer wieder gut schlafen, weil der letzte Dreck beseitigt ist und das Ökosystem sich wieder erholen kann. Erst wenn der letzte Helfer, der von den ölzersetzenden Chemikalien geschädigt wurde, wieder gesund ist. Und ein paar Leute werden ihr Leben nie wieder zurück bekommen. Es ist eben kein Computerspiel.

Das Verrückte daran ist ja: der Anspruch, dass alles so bleiben soll, wie es ist, führt geradewegs in die diversen Katastrophen. Wir werden unser Leben nie wieder zurück bekommen. Je länger wir daran festhalten, desto größer der Schock, wenn die Veränderungen über uns – dann unvorbereitet – hereinbrechen. Obama fordert die Energiewende, ob er sie durchsetzen kann, muss sich erst zeigen. Umso unverständlicher, dass Deutschland die überfällige Wende in der Verkehrspolitik wieder versäumt und dass fast unbemerkt von der Öffentlichkeit auch die Folgeverhandlungen zum Kopenhagener Klimagipfel gefloppt sind.

Was wäre wohl gewesen, wenn Jesus im Garten Gethsemane gesagt hätte, dass er sein Leben zurück will, und eine Kompanie Engel angefordert hätte, die ihn gerade noch rechtzeitig mit großem Zapfenstreich verabschieden? Hayward bekommt sein Leben übrigens gerade wieder zurück. Besser so für BP und die Welt. Walter Mixa arbeitet noch daran – seine Kollegen sind jedoch weniger kooperativ als der Aufsichtsrat von BP. Für den Rest gilt: Umkehr ist das Gebot der Stunde. Johann Baptist Metz hat es im Blick auf die Kirche so zugespitzt:

Kehren wir Christen in diesem Lande um, oder glauben wir lediglich an die Umkehr und bleiben unter dem Deckmantel der geglaubten Umkehr die alten? Folgen wir nach, oder glauben wir nur an die Nachfolge und gehen dann unter dem Deckmantel der nur geglaubten Nachfolge die alten, immer gleichen Wege? Lieben wir, oder glauben wir an die Liebe und bleiben unter dem Deckmantel der geglaubten Liebe die alten Egoisten und Konformisten? Leiden wir mit oder glauben wir nur an das Mitleiden und bleiben unter dem Deckmantel der geglaubten “Sympathie” allemal die Apathischen?

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Glückliche Träumer

Die Lektüre von Martin Seligmans positiver Psychologie bringt immer wieder kleine Erleuchtungen hervor. Zum Beispiel verstehe ich endlich diese immer wiederkehrenden Episoden, wo ein Kind aus der Schule kommt und – erst auf Nachfrage natürlich – verlauten lässt, die Lateinschulaufgabe sei gut verlaufen und eine entsprechende Note sei zu erwarten. Etliche Tage später stellt sich dann – jedesmal völlig überraschend! – heraus, dass der Lehrer die Sache offenbar anders sah und mit einer deutlich schlechteren Zensur bewertete. Auf Nachfrage erfahren die irritierten Eltern dann, dass irgendwelche unvorhersehbaren Dinge eingetreten seien – eine weitere Aufgabe auf der Rückseite des Angabenblattes, die man partout nicht habe sehen können, unerwartete Fragen zu Themen, mit denen man nie und nimmer habe rechnen können und derlei mehr.

Von Seligman habe ich inzwischen gelernt: Pessimisten schätzen sich exakter ein als Optimisten. Optimisten neigen dazu, sich zu überschätzen. Der Vorfall zeigt mir also, dass mein Kind Optimist ist. Pessimisten suchen zudem den Fehler für etwaiges Scheitern bei sich selbst und halten die Ursache für unveränderlich. Die Antwort meines Kindes auf die Frage nach den Ursachen zeigt, dass es den Grund des Scheiterns in einmaligen Zufällen sieht, die rein gar nichts mit ihm zu tun haben. Es geht daher mit demselben Optimismus in die nächste Prüfung.

Bisher hielt ich als typisches Exemplar der Mittelschicht den Mangel an Realismus für bedenklich, sah mein Kind fast schon abgehängt im Bildungswettlauf. Jetzt weiß ich, dass das eine Stärke ist. Denn insgesamt sind optimistische Menschen (und ich weiß genau, von wem sie diese Disposition geerbt haben…) leistungsfähiger, freundlicher und glücklicher. So ein paar Vierer oder Fünfer, würde Karlsson vom Dach sagen, die stören doch keinen großen Geist.

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Achtung, bitte!

Vor einiger Zeit unterhielt ich mich mit einer Bekannten und das Gespräch kam – ich weiß gar nicht mehr wie – auf eine andere Person. Ich hatte die beiden ein paar Monate zuvor scheinbar einträchtig ins Gespräch vertieft lange zusammen sitzen sehen. Um so überraschter war ich über die Verachtung, die da in ein, zwei kurzen Sätzen rüberkam. Es war gar nicht das, was sie sagte, sondern viel mehr wie sie redete und vor allem die Tonart, in der sie den Namen aussprach.

Die gefühlte Gesprächstemperatur sank sofort ein paar Grad ab. Ich fragte mich reflexartig, ob sie sich über mich ähnlich äußert, wenn ich nicht dabei bin. Eigentlich will ich es lieber gar nicht wissen. Ich bin kein Sensibelchen – meistens jedenfalls – aber das Gespräch hat mich verstört: Man muss nicht alle Menschen mögen. Man darf auch ein kritischer Zeitgenosse sein und muss nicht jeden Mist schönreden. Aber irgendwie denke ich trotzdem, dass jeder ein gewisses Maß an Achtung verdient hat. Und die beginnt mit der Art, wie wir über jemanden reden.

Stößt mir das deswegen so auf, weil die meisten Leute um mich herum zu gute Manieren haben oder nicht aggressiv genug sind? Mag sein, dass ich in einer heilen Welt lebe. Aber ist das an diesem Punkt ein Nachteil? Man muss sich ja vielleicht nicht an alles gewöhnen.

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