Der entkirchlichte Messias?

David Fitch befasst sich respektvoll und kritisch mit Frost und Hirschs missionalem Ansatz (dass der zwischendurch auch als „emergent“ etikettiert wird, wird Alan vielleicht nicht so ganz schmecken). Bei allem Guten, das die beiden mit ihrer Kritik an institutionellen Komm-Strukturen und leidenschaftloser, subkultureller Kokon-Existenz in die Diskussion eingebracht haben, bleiben für ihn auch ein paar ernste Probleme. Sie betreffen den Kirchenbegriff.

Bei ihrer Kritik an verzerrten Jesusbildern und dem Versuch der Rückkehr zu einem (be)rein(igt)en Jesus, der nicht schon Produkt kirchlicher und kultureller Entstellungen ist, setzen sie – so Fitch – stillschweigend voraus, dass man Jesus ohne Kirche begegnen kann, die in der Regel eher als Hindernis erscheint. Problematisch ist das deshalb, weil ohne das – klar: unvollkommene – Christuszeugnis der Kirche und ihren (sicher ab und an diskussionswürdigen) Schriftgebrauch über die Jahrhunderte Jesus heute gar kein Thema mehr wäre.

Eine unmittelbare Beziehung des einzelnen Christen zu Christus, wie Frost und Hirsch das postulieren, hält Fitch zu Recht für eine Fiktion. Beim Lesen erinnerte mich das an Kant, der den Ausgang des Menschen nicht von falschen Jesusbildern, sondern aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit propagierte und – wie sein Zeitgenosse Johann Georg Hamann anmerkte – sich damit selbst zum Vormund aufschwang, der sagen konnte, was richtig ist. Derselbe Idealismus und derselbe hohe Anspruch des völligen Neubeginns spiegelt sich in der Formel wider, dass aus der Christologie die Missiologie und aus de Missiologie die Ekklesiologie hergeleitet werden müsse. Auch die geht in der Praxis nicht auf, weil die Christen, die sich wie Mike und Alan auf den missionalen Weg machen, ja keine unbeschriebenen Blätter sind, sondern alle möglichen kirchlichen Traditionen im Gepäck haben. Unbewusst, vielleicht, aber das Neue entsteht eben doch großteils in Anknüpfung an und Abgrenzung gegen das Vorhandene. Wie bei Hase und Igel: Die Kirche ist immer schon da. Oder wie Fitch sagt: Missiologie ist Ekklesiologie und umgekehrt.

Und das ist auch der zweite Kritikpunkt: Dass nämlich die Kirche als eine Größe von geschichtlicher Kontinuität in diesem Konzept verloren zu gehen droht. Bei allem Gestaltwechsel der Inkarnationen, Inkulturationen oder Kontextualisierungen ist es eben doch so, dass die ganz konkrete Praxis der Schriftauslegung, Gemeinschaft, der Taufe und Mahlfeier durch alle Zeiten erstreckt und alle Christen prägt und verbindet. Kirche entsteht nicht als creatio ex nihilo voraussetzungslos in jedem Augenblick der Geschichte neu auf der grünen Wiese, sondern sie entsteht aus dem Alten, das Gottes Geist immer wieder neu belebt wie die Totengebeine bei Ezechiel und das müde „Fleisch“ aus Joel 3. Wenn aber Kirche keine geschichtliche, konkrete Gemeinschaft von Menschen mehr ist, so Fitch, dann verblasst sie ganz schnell zum Konzept und zur Ideologie.

Fitch macht seine Kritik zwar an Frost und Hirsch fest, es gibt aber sicher noch mehr postmoderne Denker, denen sein Rat gut täte. Bei aller Bedeutung dieses Umbruchs ziehen sich eben auch viele Linien durch. Ich bin auch dafür, dass Kirche sich neu erfindet. Nur die Idee, geschichtslos auf den Nullpunkt zurückgehen zu können, ist gar nicht neu, sondern typisch modern. Und sie bringt die Beziehungen zu denen, die das „Alte“ schätzen, leider ziemlich oft auf Null.

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