Der Gott der anderen

Die Bibel redet von Gott oft in Paradoxen. Nur so lässt sich das Geheimnis gegenüber allzu großem Wissensdrang und vor dem modernen Hang zur Instrumentalisierung schützen. Tomas Halik nimmt im vierten Kapitel von Geduld mit Gott Gedanken seines katholischen Kollegen Joseph Moingt auf, der die menschliche Neigung, Gott zu unserem Gott zu machen, kritisch reflektiert. Wir haben nur in dem Maß Zugang zu Gott, so Moingt, als wir diesem Drang widerstehen und Gott anders sein und für andere da sein lassen.

Paulus, die die Grenzen des Judentums überwand und das Evangelium den Heiden brachte und den Partikularismus Israels sprengte, wird zum Vorbild:

In ähnlicher Weise soll die Kirche stets aus ihrer christlichen Vergangenheit ausziehen, vieles „Ererbte“ tapfer hinter sich lassen. Das war und ist ihre Aufgabe. Beim Blick auf die Geschichte sehen wir aber etwas anderes: Die Kirche hat sich bald in ihren eigenen Partikularismus zurückgezogen., die Idee eines neuen Israel hat nicht Mut und Entschlossenheit provoziert ständig ein Volk auf dem Weg zu sein… Unsere Kirche wurde stattdessen eine partikuläre Einheit unter vielen anderen, begann ihre eigenen Grenzen zu überwachen und hat aus dem Glauben ein „Erbe der Väter gemacht“, ein Eigentum, das weiter tradiert wird.

Offenheit gegenüber Gott bedeutet für Moingt dann auch Offensein für andere, weil sich Gott mit Anderen solidarisiert und weil sich in unserem Offensein Gottes Offensein für die Welt vergegenwärtigt. Halik kommentiert das zweite vatikanische Konzil und die jüngere tschechische Kirchengeschichte und fragt ausgehend von beidem, ob nicht erst der Mut, auf den Anderen zuzugehen, zu einer neuen Gestalt von Kirche führen kann, die den Verfall der jetzigen Institution eines Tages überwindet uns deren wahre Schätze erbt.

Weder Halik noch Moingt wollen Tradition, Glaube und Theologie komplett über Bord werfen. Aber sie plädieren dafür, sich auf einen Veränderungsprozess einzulassen, der keineswegs frei von Risiken ist: Am Ähnlichsten sind wir Gott da, wo wir ihn und den Anderen suchen und uns dabei selbst überschreiten. Und da wird es ganz praktisch: Nur diese Haltung kann eine Alternative bieten zu den gängigen Reaktionen auf den Islamismus in Europa, die allzu oft entweder in aggressivem Säkularismus oder in christlichem Fundamentalismus bestehen.

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