Beten und büßen – wer und wofür eigentlich?

Morgen ist wieder Buß- und Bettag. Er zeigt, wie wenig anderes, die Absurditäten bayerischer Politik und das Dilemma unserer (noch-)Regierungspartei: Die Eltern gehen arbeiten, die Kinder haben schulfrei. Freilich zu einer Jahreszeit, wo man sich nicht ins Freibad oder in den Garten legen kann. Ein Feiertag, aber kein freier Tag.

Vor einigen Jahren gab die CSU dem Druck der Arbeitgeber nach und strich den Feiertag, um die Wirtschaft zu entlasten. Es gibt im Freistaat ja etliche kirchliche Feiertage, dran glauben musste allerdings ein evangelischer, weil man lieber Protestchen aus der Meiserstraße entgegennimmt als Donner aus Rom. So wurde der protestantische Feiertag zwischen den Mühlen des Kapitals und des Vatikans zermahlen. Sei’s drum – man kann trefflich drüber streiten ob Büßen und Beten wirklich noch evangelische Tugenden sind.

Aber ein paar Evangelische gibt es doch noch in der Partei, und kurz darauf ruderte man halbherzig zurück, man „besserte nach“ – wie beim G8 auf deutlich wütenderere Proteste hin, wie beim Rauchverbot, das die Bürger schließlich der verzweifelt um Popularität bemühten Mehrheitsfraktion aus der Hand nahmen und selber regelten. Vielleicht sollten wir das mit den Feiertagen ja auch machen. Viele Kirchengemeinden springen nun ein und machen Bibeltage, sicher immer gut gemeint und oft gut gemacht, aber der Makel des Lückenbüßertums lässt sich nicht abweisen.

Unsere halbherzigen, kurzatmigen und opportunistischen Volksvertreter, die uns diese ungenießbare Suppe eingebrockt haben und statt gute Lösungen faule Kompromisse in Kauf nehmen, bringen so sich nicht nur sich selbst, sondern die Politik an sich und den Staat insgesamt in Misskredit, und damit versündigen sie sich an den Fundamenten der Demokratie. Der Buß- und Bettag in seiner heutigen Form ist ein Symbol für all diese Absurditäten.

Morgen büßt also die evangelische Kirche nicht ganz freiwillig dafür, dass sie in den Augen der CSU-Führung zu harmlos ist – und daran ist sie zum Teil ja tatsächlich selbst schuld, weil „evangelisch“ vielerorts nicht mehr zu unterscheiden war von „bürgerlich“ und man evangelische Freiheit nicht als Freiheit zum Engagement, sondern als Freiheit von allen Verpflichtungen außer der Kirchensteuer begriffen hatte. Heute klagt man über die Folgen dieser Individualisierung und entdeckt – zaghaft noch – dass geistliche Übungen nichts „katholisches“ im negativen Sinne sind.

Was aber, wenn wir Evangelischen unsere bequeme Bürgerlichkeit an diesem Tag aufgäben, einen Tag Urlaub nehmen und mit ein paar hunderttausend Leuten nach München fahren würden, um die CSU „büßen zu lassen“ – besser noch: zu einer echten Umkehr zu bewegen? Themen gäbe es genug: Die halbherzige Sozialpolitik mit ihren knauserigen Hartz IV-Sätzen; die elitäre Bildungspolitik zu Lasten schwacher Schüler, ihrer Eltern und Lehrer, und der Studenten an überfüllten und schlecht ausgestatteten Hochschulen; die kurzsichtige Energiepolitik zugunsten der Atomlobby und Energieriesen; die Peinlichkeiten der Integrationspolitik, die man erst verweigerte und nun die Folgen dieser Verweigerung denen anzukreiden versucht, die schon seit Jahren eben davor gewarnt haben.

Solche Sünden öffentlich beim Namen zu nennen, deutlich und trotzdem nicht von oben herab, das wäre für ein „evangelisches Profil“ besser als irgendwelche Lutherromantik. Der arme Günter Beckstein muss sich zwar leider entscheiden, auf welcher Seite er an diesem Tag steht. Aber ich bin ziemlich sicher, dass bei so einer Aktion auch ein paar Katholiken mit von der Partie wären, womöglich sogar der eine oder andere Atheist.

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