Barth missional (1)

Im vierten Band der Kirchlichen Dogmatik schlug Barth die Brücke vom „prophetischen Amt“ Christi zur christlichen Gemeinde, die in seine Sendung einbezogen wird und betrat damit theologisches Neuland. Ich werde in lockerer Abfolge hier Auszüge aus dem §72 („Der Heilige Geist und die Sendung der Gemeinde“) posten, um zu sehen, was sie für die missionale Diskussion abwerfen. Hier der Einstieg zum Thema „Berufung“:

Des Menschen Berufung ist […] seine Berufung zum Christen. Eben die Berufung zum Christen ist aber, […) des Menschen Berufung in die Christenheit und also in die Kirche, d. h. in die lebendige Gemeinde des lebendigen Herrn Jesus Christus. Man wird nicht zuerst zur Kirche und dann, in der Kirche und durch sie, wohl auch noch zum Christen berufen. Man kann aber auch nicht Christ werden, um dann wohl nachträglich auch zur Kirche berufen (möglicherweise auch nicht berufen) zu werden. Wie die christliche Existenz kein bloßes Komplement der kirchlichen ist, so ist die kirchliche auch kein bloßes Komplement der christlichen.

aus: Karl Barth, Kirchliche Dogmatik IV,3, §72 S. 780

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Kind der Verheißung

Seit Jahrhunderten zerbrechen sich Christen die Köpfe (und schlugen sich dieselben gegenseitig machmal auch fast ein), wie man angemessen über Jesus reden kann. Die historischen Formulierung in den Lehre von den zwei Naturen hat dabei in vielfältige Sackgassen geführt. Hauptursache sind die Kategorien, die dort verwendet werden, da sie einer „Ontologie der Substanz“ entnommen sind. Und an dieser Stelle ist es vielleicht auch einmal angemessen, von einem gewissen Gegensatz zwischen griechischem und hebräischem Denken zu sprechen. Letzteres weist eher in die Richtung einer Ontologie der Relation, die wiederum leichter mit neueren Denkansätzen, z.B. auch dem Gedanken der Emergenz als dynamischer Interaktion, ins Gespräch zu bringen ist. Ersteres steht dagegen dem Essentialismus nahe, der die Essenz der Existenz vorordnet oder in der Biologie die Art dem Individuum.

In der neueren Theologie sind diese Kategorien daher wie in den meisten anderen Wissenschaften auch aufgegeben und die Inhalte dessen, das man mit ihrer Hilfe hatte aussagen wollen, wurden und werden in das relationale Koordinatensystem übertragen. Von Jesus als Gott zu sprechen geschieht nun nicht mehr so, dass man ihm Teilhabe an einer abstrakt bestimmbaren göttlichen Natur zuschreibt, sondern auf seine Identifikation mit Gott und Gottes Identifikation mit ihm verweist, in der Einheit und Differenz (im Sinne eines echten „Gegenübers“) vorhanden sind.

Im neuen Testament finden sich nebeneinander mehrere Linien, die diese Identifikation beschreiben: Die Geburtsgeschichten bei Matthäus und Lukas, die Taufe mit dem Empfang des Geistes (Matthäus, Markus und Lukas), die Auferweckung (z.B. Römer 1,3), die wiederum die Erhöhung schon mit umfasst.

Stellt man mal die beliebte Streitfrage nach der Jungfrauengeburt als historisches und biologisches „Faktum“ zurück, dann bleibt die Frage nach dem theologischen Gehalt und der Bedeutung. Wäre ein vermeintliches oder tatsächliches Faktum nämlich ohne heute noch nachvollziehbare und aussagbare Bedeutung, dann lohnt sich der Streit darum auch gar nicht mehr. Immerhin: Muslime glauben auch an die Jungfrauengeburt Jesu, ziehen aber daraus keineswegs dieselben Schlussfolgerungen wie Christen.

Die altkirchliche Theologie musste die Vorstellung eines Halbgottes oder Hybridwesens (bzw. eines natürlich-übernatürlichen „Zwitters“) abwehren und orientierte sich an der (damaligen) Anthropologie: So wie in der Person eines Menschen Leib und (Geist-)Seele vereint sind, so in der Person Christi göttliches und menschliches „Wesen“. Das Risiko bleibt aber, dass sich ein tendenziell unweltliches und (nicht im ethischen Sinne) unmenschliches Jesusbild daraus entwickelt, beziehungsweise dass die Logik „Pneuma statt Sperma“ sich dem Verdacht einer „Leibfeindlichkeit“ aussetzen könnte, die Sexualität grundsätzlich anrüchig findet. Der Dualismus des Leib/Geist Schemas hat in der Geschichte unter anderem ja auch dazu geführt, dass die weiblich verstandenen Materie gegenüber dem männlich konnotierten Geist als minderwertig und unterlegen erscheint.

Geht man zurück auf die nächsten jüdischen Analogien, dann stößt man auf Geschichten, die davon handeln, dass unfruchtbare Frauen Mütter werden. In der Antike galt Unfruchtbarkeit meist als das Problem der Frau, nicht des Mannes. Das Motiv wird in Jes 49,21 auf das am Boden zerstörte Israel ausgeweitet. Relational gedacht ließe sich das im Blick auf Jesus vielleicht so weiterdenken: Gott überbietet, was er bei Isaak, Samuel oder Johannes dem Täufer getan hat in Jesus noch. Bei Matthäus folgt mit dem Kindermord und der Flucht nach Ägypten ja auch noch die Bezugnahme auf Mose, die größte Gestalt des Alten Testaments, die genealogische Linie zu David erwähnen Matthäus wie Lukas (und im Römerbrief auch Paulus). All das zusammen baut ein Beziehungsfeld auf, in dem Jesus zu betrachten ist.

Könnte man es also so sagen: Jesus ist nicht nur ein, sondern das Kind der rettenden Verheißung, die in seiner Person ihrer umfassenden Erfüllung entgegen geht. Er ist darin, dass er sich nicht sich selbst verdankt, Teil unserer geschöpflichen Wirklichkeit und damit nicht weniger menschlich (im Sinne von „unnatürlich“) als wir, sondern vielleicht ja noch mehr. Weil Gottes Verheißung aber unableitbar ist und keiner bestimmten menschlichen Voraussetzungen bedarf, entzieht sich diese Geburt und diese Person auch unseren gängigen biologischen (dazu neigt die „fromme“ Richtung wie das katholische Dogma) und psychologischen (das wäre die Grundtendenz der liberalen Theologie) Aneignungs- und Anknüpfungsversuchen. Jesus ist also weder Super-/Sondermensch noch die Extrapolation eines allgemeinen religiösen Bewusstseins auf eine absolute Stufe oder in Reinform.

Paulu schreibt in 2.Korinther 1,20: „Er ist das Ja zu allem, was Gott verheißen hat.“ Als dieses Kind der Verheißung kann man ihn mit dem Evangelisten Johannes auch als das göttliche Wort verstehen.

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