Spielfreude

In Lukas 17,7-10 steht eine verstörende Passage:

Wenn einer von euch einen Sklaven hat, der pflügt oder das Vieh hütet, wird er etwa zu ihm, wenn er vom Feld kommt, sagen: Nimm gleich Platz zum Essen? Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: Mach mir etwas zu essen, gürte dich und bediene mich; wenn ich gegessen und getrunken habe, kannst auch du essen und trinken. Bedankt er sich etwa bei dem Sklaven, weil er getan hat, was ihm befohlen wurde? So soll es auch bei euch sein: Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen wurde, sollt ihr sagen: Wir sind unnütze Sklaven; wir haben nur unsere Schuldigkeit getan.

Als ich das las, fiel mir eine Diskussion zum Thema „Wertschätzung in der Gemeinde“ vor einpaar Wochen ein. Wie verhält sich dieses Jesuswort zu Aussagen des Paulus, dass Christen „einander mit Ehrerbietung zuvorkommen“ (Römer 12,10), immer auf Lobenswertes bedacht (Philippe 4,8) sein sollen und dass gerade die unscheinbaren Glieder besonders geehrt werden (1. Korinther 12,23)?

Einerseits ist es eine Frage der Motivation: Wenn ich mich irgendwo engagiere, dann sollte es mir um die Sache und das Ganze gehen. Anerkennung für meinen Beitrag ist dann schön, aber keine notwendige Bedingung. Wo sie unter der Hand zu eigentlichen Ziel wird, um das es mir geht, wird das Lob nur ganz selten die Mühe wert gewesen sein. Vielleicht hilft hier der Vergleich mit einer Fußballmannschaft: Trainer bemühen sich ja oft, einzelne Spieler nach einem Sieg (und noch viel mehr nach einer Niederlage…) nicht zu sehr herauszuheben. Selbst die teuren Profis freuen sich ja noch, wenn sie spielen dürfen. Am Ende gibt es einen Handschlag vom Trainer, ein Schulterklopfen von den Mitspielern (und manchmal auch eine Kopfnuss, wenn etwas nicht gut gelaufen ist). Aber das Eigentliche ist und bleibt das Dabeisein beim Spiel selbst. Nichts motiviert mehr, als mit anderen (Selbst-)Motivierten gemeinsam zu kämpfen. Die Spirale dreht sich nach oben, wenn (und weil) man von sich selbst wegschaut.

Schwierig wird es da, wo man die Verantwortung für die eigene Motivation unter der Hand anderen zuschiebt. Manche von uns haben das auch schon erlebt: Da sind nicht nur Selbstdarsteller und Bewunderungsjunkies am Werk, sondern auch Verzagte (das kann vorkommen, kein Problem) und ein paar Antriebsschwache, denen man ständig gut zureden muss, um sie bei Laune zu halten. Es fühlt sich ein bisschen an wie Wandern mit Kindern. Während für mich als Erwachsenem die Bewegung, die frische Luft und die schöne Natur – Berge, Wasser, Wald, die Sonne und der weite Himmel) die eigentliche Belohnung sind, muss ich für den widerwillig mittrottenden Nachwuchs tütenweise Süßigkeiten als Bestechung mitschleppen und versprechen, am Ende an einem Schnellrestaurant zu halten, wo man neben so gesunden Produkten wie Pommes und Cola auch noch grausiges Plastikspielzeug in die Tüte gepackt bekommt. Zum Glück funktionieren die meisten Teams in unseren Gemeinden nicht so. Wo es aber doch so ist, dass man – ob Fußballverein oder Kirche – ständig Streicheleinheiten verteilen muss (eine Art Mutti-vation), da sind die Verantwortlichen nicht zu beneiden. Befangenheit stellt sich angesichts der oft unausgesprochenen Ansprüche ein, das Lob wird dann eher spärlich tröpfeln und die Spirale früher oder später nach unten gehen. Etwas partout toll finden zu müssen, ist eben schwierig.

Zweitens ist da die Frage nach dem Maßstab. Wenn das Lob und die Anerkennung zum eigentlichen Ziel werden, dass ist das ja ein Tauschhandel, aber kein „Dienen“ mehr. Andere geraten unter Zugzwang, sie spüren die drohende Enttäuschung, wenn die Gegenleistung ausbleibt. Zusätzlich kann man bei diesem Geschäft auch noch die Preise verderben: Pädagogen warnen inzwischen davor, Kinder zu viel und für die falschen Dinge zu loben. Mag sein, dass das eine Art Pendelschlag war auf den knauserigen Umgang mit Komplimenten in früheren Generationen und bestimmten Landstrichen (etwa das berüchtigte „net geschimpft sich globt gnug“). Zu überschwänglich und zu pauschal hilft trotzdem niemandem, und Lobhudeleien wirken eben auch relativ bald nicht mehr anspornend. Nicht jede Leistung ist etwas Besonderes, nicht immer hat jemand sein Bestes gegeben oder sich erkennbar verbessert – das geht freilich auch nicht immer, nur kann man dann auch keine besondere Reaktion von den anderen erwarten (wenn jemand dagegen ein aussagekräftiges Feedback für eine bestimmte Tätigkeit und Aufgabe möchte, dann sollte er andere ausdrücklich darum bitten und sie dazu einladen. In den seltensten Fällen kommt das von allein oder zu einem guten Zeitpunkt). Wenn meine Leistung als Vater oder Mutter davon abhängt, ob meine Kinder mir das ausreichend danken oder es würdigen (von der Gesellschaft insgesamt ganz zu schweigen), dann gute Nacht: Der Dank kommt zu spärlich und zu spät – immer. Mein wirklicher „Lohn“ ist der, dass die Sprösslinge irgendwann hoffentlich gestandene Persönlichkeiten sind.

Drittens hat das Ganze mit unserem Rollenverständnis zu tun. In Lukas 17 kommt der Begriff der „Schuldigkeit“ ins Spiel. Ein „Knecht“ lebt im Haus des Herrn, der für ihn sorgt, indem er ihm ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen gibt. Dafür „schuldet“ der Knecht dem Herrn seine Dienste. Das ist etwas anderes als heutige Arbeitsverträge, die auf eine weniger umfassende Solidarität angelegt sind und (wenigstens pro forma) gleichberechtigte Partner voraussetzen. Sie liegen tatsächlich eher in der Nähe eines Deals: Lohn für Leistung. Wer so denkt, warnt Jesus, greift zu kurz. Die Pharisäer, die ihre Spitzenfrömmigkeit zur Schau stellen, haben ihren Lohn schon bekommen, sagt er. Von Gott können sie nichts mehr erwarten.

Im Blick auf Gott ist es nämlich so, dass wir ihm ja gar nichts schenken könnten, was er uns nicht immer schon gegeben hätte. Man muss das, um den Sachverhalt zu würdigen, ganz sicher nicht so extrem auslegen und -leben wie C.H. Spurgeon es getan hat:

Kann jemand von euch auf den Dienst für den Herrn mit Befriedung zurückblicken? Wenn ihr es könnt, kann ich nicht sagen, daß ich euch beneide, denn ich stimme nicht im geringsten mit euch überein. Was mich betrifft, so bin ich genötigt, mit heiligem Ernst zu bekennen, daß ich nicht mit dem zufrieden bin, was ich getan habe. Ich habe halbwegs gewünscht, mein Leben von vorn wieder anfangen zu können, aber jetzt tut es mir leid, daß mein stolzes Herz sich einen solchen Wunsch erlaubt hat, denn aller Wahrscheinlichkeit nach würde es das zweite Mal noch schlechter sein. Was die Gnade für mich getan hat, erkenne ich mit tiefer Dankbarkeit an, aber für das, was ich selbst getan habe, bitte ich um Vergebung. Ich bitte Gott, mir meine Gebete zu vergeben, denn sie sind voller Fehler. Ich bitte Gott, selbst dieses Bekenntnis mir zu vergeben, denn es ist nicht so demütig, wie es sein sollte. Ich bitte ihn, meine Tränen zu waschen und meine Andacht zu reinigen und mich mit meinem Heiland in den Tod zu begraben, daß ich in mir selbst ganz vergessen und nur in Ihm an mich gedacht werde. O Herr, Du weißt, wie wir zu kurz kommen in der Demut, die wir fühlen sollten! Vergib es uns. Wir sind alle unnütze Knechte, und wenn Du uns nach dem Gesetze richten würdest, wären wir alle verloren.

Unter uns sind die Rollen wieder anders verteilt: Hier geht es weder um Herren und Knechte noch um Eltern und Kinder, sondern wir arbeiten alle gemeinsam für den einen Herrn und sind Kinder des einen Vaters. Es wäre auch ein Missverständnis, dass „Ehrenamtliche“ für die Hauptamtlichen in der Gemeinde arbeiten (umgekehrt würde eher ein Schuh draus, aber auch nicht so richtig), sondern beide arbeiten Seite an Seite für die ganze Gemeinde, die wiederum (wenn alles richtig läuft) ihrer Stadt und ihrem Ort dient. Von Spieler zu Spieler quasi kann man einander Anerkennung und Wertschätzung schenken. Aber alle bleiben frei von dem Druck, irgendetwas toll finden zu müssen, was ein anderer macht. Ihr Urteil ist ohnehin nicht das Entscheidende. Und vielleicht ist diese Freiheit eine Bedingung dafür, dass eine gesunde Wertschätzung überhaupt wachsen kann, weil sie ein Geschenk bleiben darf.

Mit diesem Geschenk nun braucht man nicht zu knausern. Jeder freut sich, wenn ihm etwas gelingt und die anderen das auch merken. Wir alle blühen auf, wenn wir nicht das Gefühl haben, nur ein anonymes Rädchen in einem großen Apparat zu sein. Wir hängen uns mehr rein, wenn wir eine positive Resonanz spüren. Und je mehr wir uns hineingeben in die Aufgabe (und uns dabei, das ist das Seltsame, selbst fast vergessen), desto näher kommen wir dem positiven „Flow-Erlebnis“.

Und vielleicht ist es ja auch das, was in Lukas 17 angedeutet ist: Die Selbstvergessenheit im Blick auf den großen Gott und das Geschenk der Möglichkeit, etwas zu seinem Wirken in der Welt beitragen zu können, nicht die herbe Selbstherabsetzung als untauglich und nichtsnutzig. Das dabei-sein-Können ist in sich schon die größte Auszeichnung. In diesem Sinne – lasst uns täglich mit so viel Spielfreude wie möglich auf den Platz stürmen, wenn uns der Trainer schon aufgestellt hat 🙂

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