Nichts für schwache Nerven

Ich habe noch ein paar Tage gebraucht, um meine Erfahrungen aus der Stille zu verdauen und sacken zu lassen. Außerdem dauert es eine Weile, geeignete Worte zu finden, die wenigstens näherungsweise beschreiben, was sich denn innerlich so zuträgt, wenn die äußeren Impulse wegfallen, die das Schwungrad im Kopf ständig antreiben.

Denn ich fuhr vor knapp drei Wochen mit gar nicht so viel gefühlter Unruhe in den Frankenwald. Was mir die meisten Kopfschmerzen bereitete, war die Frage, wie ich als tendenziell klaustrophober Mensch es wohl aushalten würde, so lange still zu sitzen. „Langeweile“, hatte Bill Hybels einmal gesagt, „ist mein größter Feind.“ Und so war ich am ersten Tag noch schwer dabei, eine Überlebensstrategie zu entwickeln, bis ich mich durchschaute und darüber schmunzeln konnte.

Denn in Gries war ich gut aufgehoben. Mein Exerzitienbegleiter machte mir Mut, mein eigenes Maß zu finden, und so verbrachte ich in den ersten – zum Glück sonnigen – Tagen viel Zeit in der Natur, bis es mich von ganz allein immer mehr in die kleine, zum Meditationsraum ausgebaute Kapelle zog. Rückblickend muss ich sagen, dass ich wirklich alle wichtigen Momente und Aha-Erlebnisse dort hatte. Rilkes Satz vom „sanftesten Gesetz, an dem wir reiften, als wir mit ihm rangen“ hat sich hier großartig bewahrheitet. Ich rang mit dieser Einladung, mich dieser unberechenbaren Gegenwart willentlich auszusetzen, und nicht gleich aufzugeben.

Und dann schien sich Schicht um Schicht abzuschälen, bis der Kern immer deutlicher zum Vorschein kam: Am ersten Tag spürte ich meine Müdigkeit. Wenn ich still wurde, zogen Fetzen surrealer Traumsequenzen vor meinem inneren Auge vorbei, aber nichts davon schien nennenswerte Bedeutung und Substanz zu haben. Am Tag darauf war es meine Geschäftigkeit: unerledigte oder versäumte Arbeit, interessante Ideen, was ich alles noch tun könnte, kamen mir in den Sinn. Ihnen folgte die Traurigkeit – nicht über Dinge, die andere mir zugefügt hätten, sondern über eigene Versäumnisse und Versagen. Es war keine quälende, sondern eine ganz heilsame Trauer. Ich wechselte vom Denken allmählich zum Fühlen, und fand damit immer mehr in die Gegenwart. Mir fiel das Gebet von Bruder Klaus wieder ein:

Mein Herr und mein Gott, nimm alles von mir, was mich hindert zu dir.
Mein Herr und mein Gott, gib alles mir, was mich fördert zu dir.
Mein Herr und mein Gott, nimm mich mir und gib mich ganz zu eigen dir.

Je stiller ich wurde, desto mehr fiel mir auf, wie laut es anfänglich in mir gewesen war. Aus der Liturgie der allabendlichen Eucharistiefeier prägte sich der vom Hauptmann von Kapernaum entlehnte Satz in mein Gedächtnis ein: „Sprich nur ein Wort, und meine Seele wird gesund.“ Meine vielen Worte können das nicht leisten, was ein einziges Wort kann, das wie ein Flüstern aus dieser anderen Dimension kommt. Sie bleibt mir verborgen, ist aber doch ganz nah und gegenwärtig. Abraham Heschel schrieb vor gut 70 Jahren passend dazu:

Sich des Unaussprechlichen bewusst zu werden, bedeutet, sich von Worten zu lösen. Das Eigentliche, die Tangente zur Kurve menschlicher Erfahrung, liegt jenseits der Grenzen der Sprache. Die Welt der Dinge, die wir wahrnehmen, ist nur ein Schleier. Sein Flattern ist die Musik, seine Ornamente sind die Wissenschaft, aber was er verhüllt, ist unergründlich. Sein Schweigen bleibt ungebrochen; keine Worte können es ausräumen.

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