Die Krise hinter der Krise

KugelDer renommierte italienische Denker Giorgio Agamben spricht im Interview mit der Feuilleton der FAZ über divergierende Vorstellungen eines gemeinsamen Europas. Deutschland als derzeit prägende Kraft in der EU ist aus seiner Sicht unfähig, „ein Europa zu denken, das nicht allein auf Euro und Wirtschaft beruht.“ Was die gegenwärtige Regierungskoalition angeht, sicher ein Volltreffer.

Die Reduktion auf die Ökonomie überdeckt, dass die eigentlich nötige demokratische Legitimierung europäischer Politik immer noch fehlt und dass entscheidende Dimensionen des Zusammenlebens auf der Strecke bleiben, die Europa einzigartig machen, zum Beispiel ein ganz bestimmtes Bewusstsein von Kultur und Geschichte – die Vielfalt der Lebensformen ist bedroht:

Im Mittelalter wusste man wenigstens, dass eine Einheit verschiedener politischer Gesellschaften mehr bedeuten muss als eine rein politische Gesellschaft. Damals suchte man das einigende Band im Christentum. Heute glaube ich, dass man diese Legitimation in Europas Geschichte und seinen kulturellen Traditionen suchen muss. Im Unterschied zu Asiaten und Amerikanern, für die Geschichte etwas ganz anderes bedeutet, begegnen Europäer ihrer Wahrheit immer im Dialog mit ihrer Vergangenheit.

Dabei verdeckt, sagt Agamben, vor allem die permanente Krisenstimmung, wo überall nach fragwürdigen Kriterien über die Köpfe der Bürger hinweg entschieden wird, und wem das letztendlich nützt. Über diesen Gedanken, dass wir alle unter dem Diktat ökonomischer Zwänge zusehends entmündigt werden, lohnt es sich nun wirklich eine Weile nachzudenken:

Heute ist die Krise zum Herrschaftsinstrument geworden. Sie dient dazu, politische und ökonomische Entscheidungen zu legitimieren, die faktisch die Bürger enteignen und ihnen jede Entscheidungsmöglichkeit nehmen. In Italien sieht man das deutlich. Hier hat man im Namen der Krise eine Regierung gebildet und Berlusconi wieder an die Macht gebracht, obwohl das grundlegend dem Willen der Wähler widerspricht. Diese Regierung ist ebenso illegitim wie die sogenannte europäische Verfassung. Die europäischen Bürger müssen sich klarmachen, dass diese unendliche Krise – genau wie der Ausnahmezustand – mit der Demokratie inkompatibel ist.

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Eine „Sünderin“ wird rehabilitiert

Im letzten halben Jahr ist mir immer wieder die Geschichte von der Frau am Jakobsbrunnen (Johannes 4) begegnet. Viele Auslegungen, die ich bis dahin gehört und gelesen hatte, scheinen die Situation typisch modern zu erfassen: da sieht sich Jesus einer bindungsscheuen Hedonistin gegenüber, die einen Mann nach dem anderen verschleißt auf der Suche nach einem erfüllten Leben.

Irgendwie fällt, so scheint es, immer auch etwas der Schatten der Ehebrecherin aus Kapitel 8 auf diese Episode. Die anschließende Diskussion ist dann so zu verstehen, dass Jesus die Frau implizit tadelt für ihre verfehlte Suche und ihr den Weg zu einem Leben aus der Fülle Gottes weist.

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Doch wie plausibel ist diese heutige Betrachtungsweise für die damalige Situation? Frauen konnten sich in der patriarchalischen Kultur nicht von ihren Männern scheiden lassen und wieder heiraten, nur Männern war das möglich – das dürfte auch unter der Samaritanern kaum anders gewesen sein. Es ist also viel wahrscheinlicher, dass diese Frau schon fünfmal verlassen wurde – eventuell war sie auch ein- oder mehrmals verwitwet. Über ihren eigenen, in unseren heutigen Kategorien vielleicht auch „schuldhaften“ Anteil an den Trennungen kann man jetzt lange und fruchtlos spekulieren, etwas weiter hilft vielleicht die Überlegung, dass (freilich unverschuldete) Unfruchtbarkeit durchaus auch ein denkbarer Scheidungsgrund gewesen sein könnte. Und so sah der augenblickliche Lebensgefährte vielleicht keinen Anlass, sich an eine Frau mit einem derartigen Stigma (unfruchtbar, verschmäht, „gebraucht“) dauerhaft zu binden.

Dass Jesus um diese leidvolle Geschichte weiß und sich trotzdem auf Augenhöhe mit ihr unterhält, dass er keine Anstalten macht, der Frau irgendeine erst noch zu bereuende und bereinigende Schuld zu unterstellen und so ihre Schande zu vergrößern, sondern mit ihr über eine Gottesunmittelbarkeit spricht, die auch den Gegensatz von Juden und Samaritanern, von Zion und Garizim transzendiert – all das wird, so betrachtet, noch viel erstaunlicher. Er stellt sie also keineswegs bloß, sondern er bekleidet sie mit einer Würde, die sie wiederum im Handumdrehen zur „Missionarin“ werden lässt.

Noch ein paar kurze Anmerkungen rund um die beiden erwähnten Damen:

(1) Einen ganz anderen Aspekt bringt z.B. C.K. Barrett in seinem Kommentar am Rande auch noch ins Spiel: Fünf Ehen war für damalige Verhältnisse außerordentlich viel. Nach Josephus hatten die Samaritaner fünf Götzen (in anderen Quellen dagegen sind es sieben). Es könnte also auch sein, dass die Frau symbolisch für ihr Volk hier steht, das nach jüdischem Dafürhalten den wahren Gott verkannt hat. Dieser symbolische Verweis mit der Ehe- auf die Gottesbeziehung wäre ja nicht ganz ungewöhnlich, wenn man an die jüdischen Propheten denkt.

(2) Eli Lizorkin-Eyzenberg hingegen sieht in einer der knappen Erinnerung an die Josephsgeschichte eine Deutung des Leids, das der Frau widerfahren ist, das sich nun durch die Begegnung mit Jesus ebenso wendet wie das Schicksal des Stammvaters der beiden religiösen Gruppen.

(3) Ausgerechnet die so beliebte Geschichte von der Ehebrecherin aus Kapitel 8,1-11 dagegen fehlt übrigens in den ältesten Handschriften des vierten Evangeliums, sie wurde wohl erst später hinzugefügt. Doch auch wenn das geniale Wort nicht von Jesus stammen sollte: Steine werfen ist keine gute Idee, selbst als Sündloser (der man hinterher ohnehin nicht mehr wäre).

Ebenso stellt sich damit die Frage nach dem Stellenwert des in manchen Kreisen mindestens ebenso populären, weil die verletzte moralische Ordnung nachdrücklich bestätigenden Diktums „Geh hin und sündige hinfort nicht mehr“, mit dem man die Vergebung an die Bedingung künftigen Wohlverhaltens knüpfen kann. Damit niemand das mit der bedingungslosen Gnade missversteht… Valeria Hinck hat hier zu Recht darauf hingewiesen, wie selten das in den Evangelien der Fall ist – sollte Joh 8,11 einfach aus Joh 5,14 übernommen und eingefügt worden sein, dann halbiert sich das auf genau noch ein Vorkommen, während Jesus irritierend oft ganz ohne Bewährungsauflagen vergibt.

Alles in allem sind das doch spannende Perspektiven!

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Ketzervergleich

Brandan Robertson, der mit seinem Blog Revangelical daran arbeitet, die evangelikale Bewegung in den USA vom neoreformierten Fundamentalismus (oder wie auch immer man das bezeichnen mag) zu lösen, hat einen sehr interessanten Blogpost über C.S. Lewis geschrieben, in dem er Lewis‘ theologische Positionen beleuchtet und nebenbei Vergleiche zieht zu N.T. Wright, Rob Bell und Brian McLaren, die von vielen Rechtsevangelikalen wie Al Mohler derzeit mit allerlei Polemik überzogen werden.

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Der Post ist mit Lewis-Zitaten gespickt und allein deswegen schon sehr interessant zu lesen. Das Fazit lautet:

Bei einem Durchgang durch eine kurze Liste von Lewis-Zitaten können wir sehen, dass Lewis nicht glaubte, die Bibel sei unfehlbar, dass er es für möglich hielt, dass es universales Heil (Allversöhnung) geben könnte, dass er an die Evolution glaubte, dass er der Ansicht war, menschliche Sprache könne Gott nicht beschreiben, dass er an ein Fegefeuer glaubte und dass er die evangelikale Anschauung ablehnte, das Evangelium sei gleichbedeutend mit der Lehre vom stellvertretenden Strafleiden.

Obwohl Lewis mehr „Ketzereien“ verzapfte als seine aktuellen Nachfahren, wird er bis heute in vielen konservativen Institutionen gelesen und verehrt. Robertson fragt nun, ob sich daraus nicht auch die Möglichkeit ergibt, anderen mit derselben Aufgeschlossenheit zu begegnen. Die entsprechende Weite war also schon einmal da, sie ist auch für Evangelikale grundsätzlich möglich, die Tendenzen der Abschottung sind weder logisch noch notwendig (freilich werden die richtigen Hardliner nun wohl eher auf Lewis losgehen als ihre Engführungen in Frage zu stellen).

Insofern hat es doch etwas Erfrischendes und Mutmachendes, in den mal mehr, mal weniger radikalen Lewis-Zitaten zu stöbern.

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Doppelte Schrecksekunde

DSC09757Christliche Prophetie ist immer ein spannendes und strittiges Thema gewesen. Diese Woche fand ich eine besonders nette Begebenheit in Barbara Bradley Hagertys Fingerprints of God. Die Journalistin Hagerty beschreibt, wie sie zu einem Treffen mit Nancy, einer modernen christlichen Prophetin, eingeladen wurde. Die hielt zunächst einen längeren Vortrag, bei dem bezeichnenderweise immer wieder das Thema Geld auftauchte. Dann forderte sie alle Anwesenden auf, für einander auf Gott zu hören – in einem so selbstverständlichen Ton, als ginge es darum, einander Kaffee nachzuschenken.

Nancy begann selbst, ausgerechnet mit Hagerty, und begann von einem reichen Mann orientalischer Herkunft, einem Privatflugzeug und vielen Kleinkindern in Afrika zu sprechen. Danach kamen alle anderen aus der Runde dran und zum Schluss sollte Hagerty ihre Nachbarin Sheila über Gottes Willen ins Bild setzen. Die peinliche Stille zog sich in die Länge, die Leere im Kopf wurde größer unter dem Druck, etwas Bedeutsames zu produzieren. Hagerty sagte das erstbeste, was Ihr einfiel: Sie sehe Wasser, ein Schwimmbecken, und einen Sprungturm. Sheila stehe oben und sie solle keine Angst vor dem Sprung haben. Aufatmen – sie hatte die Erwartungen erfüllt.

Sechs Jahre später stieg Hagerty in ein Washingtoner Hotel ab und lief dort einer Frau in die Arme, die sich als Sheila zu erkennen gab. Sheila sprach sie auf ihre „Prophetie“ von damals an und erzählte, sie habe gleich am folgenden Tag ihren Job gekündigt. Hagertys unwillkürliche Sorge, für eine getürkte Prophetie zur Rechenschaft gezogen zu werden, war zum Glück grundlos: Sheila war in ihrem neuen Beruf erfolgreich und mit ihrem Leben zufrieden…

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Einfach mal machen…

Der Kirchenvater Cyprian von Karthago hat das berühmte Diktum extra ecclesiam salus non est geprägt – es gibt kein Heil außerhalb der Kirche. Es wurde und wird immer wieder gern zitiert – vor allem da, wo es um kirchliche Macht und Einfluss ging: Es ist das Dogma vieler Traditionalisten, dass nur die Gott zum Vater haben, deren Mutter die Kirche ist. Offizielle Kirchenlehre war es aber nicht.

Nun hat Papst Franziskus in einer Predigt über Markus 9,38ff die Sache noch etwas deutlicher relativiert: Für ihn haben Menschen, die Gutes tun, auch dann Anteil am Heil, wenn sie keiner oder keiner christlichen Glaubensgemeinschaft angehören. Wer Gutes tut, erweist sich darin als Gottes Ebenbild. Und im Tun des Guten können sich Menschen unterschiedlicher Überzeugungen schon jetzt treffen.

Manches Missionskonzept käme dadurch ins Schleudern. Denn so gesehen kann es nun nicht mehr darum gehen, denen, die anders glauben, nachzuweisen, dass sie trotz all des Guten, das sie tun, nicht „in den Himmel“ kommen – sie gar als „Gutmenschen“ zu verurteilen, deren Selbstlosigkeit am Ende nur besonders raffiniert getarnter Hochmut ist –, sondern es geht wohl eher darum, das Gute auch als gut anzuerkennen und die Liebe, aus der heraus es geschieht, dankbar zu würdigen – um dann vielleicht gemeinsam zu überlegen, wie noch mehr Gutes geschehen kann.

Auftrag der Kirche wäre es dann nicht, sich möglichst alle Menschen „einzuverleiben“ oder gar alle anderen Glaubensrichtungen zu verdrängen, sondern dem Gemeinwohl zu dienen und so den Messias zu bezeugen, der sich für das Heil aller Menschen verschenkt hat. Abraham Heschel schrieb einmal:

Religion ist um Gottes Willen da. Die menschliche Seite der Religion, ihre Glaubensbekenntnisse, Rituale und Institutionen, sind eher ein Weg als das Ziel. Das Ziel ist “Gerechtigkeit zu üben, Barmherzigkeit zu lieben und in Demut mit deinem Gott zu wandeln.”

Wenn uns das gelingt, womöglich so absichtslos und selbstvergessen wie die Liebe nun einmal ist, dann ergeben sich vielleicht ganz neue Koalitionen und Möglichkeiten.

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Die Verklärung des Gestrigen

Kaum etwas kann peinlicher sein als die Revolution von vorvorgestern. Aktuell ist im Bereich einiger Burschenschaften abzulesen, wie aus einer einst revolutionären Bewegung ein reaktionärer, exklusiver Haufen geworden ist, der an überholten Idealen (hier: Volk und Rasse) festhält, die nun wirklich keinen positiven Beitrag zum gesellschaftlichen Leben mehr darstellen.

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In Frankreich erschoss sich diese Woche ein bekannter Rechter am Altar von Notre Dame, während 1.500 Besucher die Kathedrale besichtigten. Vor einer Weile hatte er neue Formen des Protestes gegen gleichgeschlechtliche Partnerschaften angekündigt. Sein Land hat sich anscheinend so verändert, dass er es nicht mehr miterleben will, nun soll wohl sein Tod genug Aufruhr schüren, dass andere die Rolle rückwärts schaffen. Sogar Marine Le Pen von der FN fand es inzwischen opportun, sich zu distanzieren.

Zugegeben, das sind sehr extreme Beispiele, aber diese Radikalisierungen finden derzeit eben mehrheitlich im konservativen Spektrum statt. Oft genug funktioniert die Logik des Konservativismus nach dem Motto: „Prüft das Gute, aber behaltet alles.“ Erst einmal muss alles Vertraute und Bewährte gesichert werden, Neues hingegen darf das Bestehende nicht zu sehr erschüttern – und ein Umbruch wird nur unter großen Schmerzen erduldet. Zwischenzeitliches Chaos birgt keine Chance zum Guten, es ist also tunlichst zu vermeiden.

Wie man dagegen mit Traditionen richtig umgeht und das Erbe der Väter richtig ehrt – ganz ohne Kulturkampfgehabe – zeigt Martin Buber. Über die Leistungen der Menschen vor uns schreibt er, und meint damit auch und gerade Glaubensgemeinschaften mit ihrer Neigung, das Gestrige zu verklären:

Wir sollen es [ihr Werk] verehren, wir sollen davon lernen, aber wir sollen es nicht nachmachen. Was Großes und Heiliges getan worden ist, ist für uns beispielhaft, aber es ist kein Modell, das wir nachzuzeichnen hätten. Wie Geringes wir auch zustande zu bringen vermögen, wenn wir es an dem Maße der Taten der Väter messen, es hat seinen Wert darin, dass wir es aus eigner Art und eigner Kraft zustande bringen.

… Dieses Einzige und Einmalige ist es, was jedem vor allem auszubilden uns ins Werk zu setzen aufgetragen ist, nicht aber, noch einmal zu tun, was ein anderer, und sei es der größte, schon verwirklicht hat.

Das Befreiende an diesen Gedanken ist, dass es den einzelnen, aber auch eine ganze Gemeinschaft, dazu befreit, sich weder im Positiven noch im Negativen durch Vergleich oder Kontrast zum Früheren zu definieren. Weder muss ich den anderen alles nachmachen, noch muss ich um jeden Preis alles anders machen. Ich kann vielmehr fragen, was das eine ist, das ich gerade hier und jetzt beitragen kann. Und eben darin bleibe ich dem Geist treu, der die Mütter und Väter schon inspiriert hat, das Ihre zu tun.

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Klöster am Rande der Welt (4)

Die abgelegenste keltisch-christliche Klosteranlage (beziehungsweise deren Reste) liegt im Atlantik vor der Küste von Kerry auf Skeligg Michael, ich habe sie nur aus der Ferne fotografiert. Leichter zu erreichen sind jedoch drei Orte auf der Halbinsel von Dingle. Westlich des gleichnamigen Städtchens mit seinen bunten Häusern liegen an der Küstenstraße zum Slea Head, dem westlichen Zipfel Irlands, sogenannte Clocháns oder „Beehives“ – Bienenkorbhütten: Bis zu 4.000 Jahre alte runde, fensterlose Zellen aus Feldsteinen, die von einer schützenden Mauer aus gleichem Material umgeben sind. Über Mönche, die dort zu christlicher Zeit lebten, ist – anders als bei den Klöstern von Inishmore – anscheinend nicht viel bekannt.

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Nach der Umrundung der Landspitze führt die Straße wieder nach Osten und ein paar Kilometer weiter liegen noch zwei Orte: Im Marschland bei Ballyferriter liegt das Kloster von Reask, von dem man nur noch die Grundmauern sieht, auch hier aus lose aufgeschlichteten Steinen ohne Mörtel. Die sonnenbeschienene Wiese zwischen den Gebäuden ist Ende April dick übersät mit Gänseblümchen.

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Noch ein Stück weiter steht das Gallarus Oratory: Die kleine Kirche, noch völlig intakt, hat die Form eines umgedrehten Bootes. Die Steine wirken sorgfältig behauen und im Innern sind die Wände relativ glatt. Anders als die runden Wohnzellen ist bei den Kirchen/Kapellen der Grundriss rechteckig. Der Eingang liegt nach Westen hin und im Osten ist ein kleines Fenster in der Mauer aus rötlichem Sandstein. Es ist wohl irgendwann zwischen dem 6. und 9. Jahrhundert erbaut worden.

Was die Steine wohl erzählen könnten über das Leben der Menschen, die hier beteten? Immerhin stehen sie als Zeugen dafür, dass das Gott in die entlegensten Winkel vordringen kann und will, damit schlichte Gemeinschaften entstehen, in denen das Evangelium Gestalt annimmt, und denen kein Weg zu weit ist, wenn es darum geht, dieses Leben mit anderen zu teilen.

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Die Welt im Sinn haben

Andreas Ebert hat mir ein Exemplar von Bubers „Weg des Menschen nach der Chassidischen Lehre“ geschenkt und mir gestern gleich die folgende wunderbare kleine Geschichte vorgelesen. Letzte Woche habe ich noch mit den Studenten meines Kirchengeschichtskurses über August Hermann Franckes „Bußkampf“ gesprochen – das wäre das Kontrastprogramm zu dieser rabbinischen Episode:

Als Rabbi Chajim vom Zahns seinen Sohn der Tochter des Rabbi Elieser vermählt hatte, trat er am Tag nach der Hochzeit beim Brautvater ein und sagte: „Schwäher, Ihr seid mir nahe gekommen, und ich darf Euch sagen, was mein Herz peinigt. Seht, Haupt- und Barthaar sind mir weiß geworden, und noch habe ich nicht Buße getan!“ „Ach, Schwäher“, erwiderte ihm Rabbi Elieser, „Ihr habt nur Euch im Sinn. Vergesst Euch und habt die Welt im Sinn!“

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Brennende Kirchen

Zu Pfingsten fiel mir ein uralter Song von Simon and Garfunkel ein: „A Church is Burning“ Ursprünglich bezog er sich auf den Rassismus in den USA, als Sympathisanten des Ku-Klux-Clan „schwarze“ Kirchen abfackelten. Heute tun das die Sympathisanten von Boko Haram.

Die Gewalt und das Unrecht werden nicht beschönigt, die Antwort ist aber auch nicht einfach nur trotzig, sondern von einer tiefen Überzeugung über das befreiende Evangelium getragen, die uns allen gut tut:

A church is more than just timber and stone

And freedom is a dark road when you’re walking it alone

But the future is now, and it’s time to take a stand

So the lost bells of freedom can ring out in my land

A church is burning
The flames rise higher
Like hands that are praying
Aglow in the sky
Like hands that are praying
The fire is saying,
„You can burn down my churches
But I shall be free.“

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Die Versuchung und das Potenzial von Gemeinschaft

Parker Palmer schreibt über die Versuchungen und das Potenzial von Gemeinschaft, und seine Worte gehen mir seit einigen Tagen nach, vielleicht geht es dem einen oder der anderen ja auch so:

Wir sind umgeben von Gemeinschaften, in denen es darum geht, einander „in den Schuh zu helfen“ – letztlich ein totalitäres Unterfangen, das die scheue Seele in Deckung gegen lässt. Zum Glück gibt es andere Modelle…

Der Schlüssel zu dieser Form von Gemeinschaft liegt darin, ein Paradox auszuhalten – das Paradox, Beziehungen zu unterhalten, in denen wir die Einsamkeit des anderen schützen. Wir müssen so zusammenkommen, dass wir die Einsamkeit der Seele achten, dass wir die unbewusste Gewalt vermeiden, die wir verüben, wenn wir versuchen, einander zu retten, dass wir die Fähigkeit wecken, das Leben des anderen zu halten ohne sein Geheimnis zu verletzen, und den anderen nie dazu zwingen, unserem Bedürfnissen zu entsprechen.

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Klöster am Rande der Welt (3)

Die größte Sehenswürdigkeit auf Inishmore ist die Festung von Dun Aengus, die halbkreisförmig am Rand der Klippen über dem Atlantik steht. Kleinbusse karren die Touristen vom Fährkai in Killronan über die kleine Landstraße zu den Highlights der Insel, wer dem Herdentrieb entgehen will, kann sich ein Fahrrad mieten, und wer es ganz entspannt möchte, der übernachtet auf der Insel und schaut sich die schönsten Flecken an, wenn die Fähre um 17.00 Uhr abgelegt hat.

Nicht weit entfernt liegen bei Onaght im Nordwesten die Ruinen der Seven Churches. Man muss schon genau hinsehen, um auch wirklich sieben Gebäude zu entdecken. Als Kirchen zweifelsfrei identifizierbar sind auf jeden Fall zwei davon.

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Eine davon heißt Teampall Bhreacáin, sie stammt aus dem 8. Jahrhundert und ist nach St. Brecan benannt, der zumindest kurzzeitig mit Enda um die kirchliche Vorherrschaft auf den Inseln konkurrierte. Tröstlich, dass anscheinend (oder angeblich) auch diese Heiligen nicht ganz frei von Platzhirschgehabe und Rivalität waren. Brecan und Enda wollten der Legende nach die Insel unter sich aufteilen. Nach der Messe, die jeder in seiner Kirche feierte, sollten sie sich zeitgleich auf den Weg machen und an den Punkt, wo beide sich trafen, sollte dann die Grenze verlaufen. Brecan schummelte und lief früher los als verabredet. Enda kam ihm auf die Schliche und auf sein Gebet hin blieb Brecan im Sand von Kilmurvey stecken, so dass Enda den deutlich größeren Teil der Insel behielt. Immerhin hat ihr Gerangel sie nicht davon abgehalten, blühende Klöster aufzubauen und von dort viele Gelehrte und Pioniermissionare auszusenden.

In einem Laden auf Inishmore erzählte ein Einheimischer vom früheren katholischen Priester der Insel, Dara Molloy. Der hat inzwischen geheiratet und vier Kinder, bietet auf eigene Rechnung Trauungen und andere Dienste nach keltischem Ritus an, was in diesem Fall anscheinend heißt, dass er eine etwas eigenwillige Mischung aus christlichen und neuheidnischen Gedanken und Traditionen vertritt. Theologisch dominieren grob gestrickte Muster: Den jüdisch-christlichen (oder auch abrahamitischen) Monotheismus sieht er in erster Linie als eine Kraft, die wahre Vielfalt unterdrückt, die römische Kirche ist für ihn der Prototyp des globalen Konzerns, der alles uniformiert.

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Klöster am Rande der Welt (2)

Die wahrscheinlich kleinste Kirche Irlands (und vielleicht darüber hinaus, obwohl ein paar Dorfkapellchen in der fränkischen Schweiz kaum größer wirken) ist der Teampall Bheanáin auf Inishmore. Das winzige Kirchlein steht seit einem guten Jahrtausend auf dem Karstrücken südöstlich von Kilronan und ist in der Steinöde schon von Weitem zu sehen. Innen ist es nicht einmal anderthalb Meter breit – es misst elf auf fünfzehn Fuß. Es ist dem Benignus geweiht, einem Gefährten des Heiligen Patrick.

Etwas unterhalb stehen Reste eines alten Rundturms in einer Kuhweide, davor Reste eines Hochkreuzes mit Ornamenten, vermutlich gehörte das auch zu der Klosteranlage von St. Enda.

Von der Straße in Killeaney ist man in ein paar Minuten auf die Anhöhe gestiegen. Wahrscheinlich war die Kirche der Gebetsraum eines Eremiten, in der Nähe befindet sich ein Mauerring und eine Mönchszelle. Der Einsiedler hat sich zum Beten einen windigen Ort ausgesucht, aber auch einen mit Weitblick, wie das Foto zeigt.

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Klöster am Rande der Welt

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Auf Inishmore, der größten der drei Aran-Inseln vor Irlands Westküste, liegt St. Enda’s church. Die Klosteranlage, zu der es gehörte, geht zurück auf Enda, Sohn des keltischen Königs Conall, der zunächst in Ulster den Vater beerbte und in zahlreiche Kämpfe verwickelt war, bis er durch seine Schwester Fanchea zum Glauben fand. Er legte die Waffen nieder und legte, vermutlich zunächst im von St. Ninian gegründeten Kloster Casa Candida in Whithorn im Süden Schottlands, das Mönchsgelübde ab.

Im Jahr 484 schenkte ihm sein Schwager, der König von Cashel, Land auf Inishmore. Enda gründete ein Kloster mit einer später sehr berühmten Klosterschule, weitere Klostergründungen folgten in den Jahren danach. Unter Endas Führung lebten dort schon bald 150 Brüder in schlichten Steinzellen um eine Kirche und ein Refektorium herum. Die Inseln wurden zur Attraktion für Pilger und bekamen den Beinamen „Aran of the Saints“. Auf der kargen Insel lebten die Mönche ein sehr einfaches Leben, und doch gingen von hier Impulse nach ganz Westeuropa aus. Unter anderem sollen sich Ciaran von Clonmacnoise, Brendan der Seefahrer und Columba, der spätere Abt von Iona, dort zeitweise aufgehalten haben.

Dass auf dem (Mini-)Athos des Westens heute nur noch Ruinen zu finden sind, liegt – wie eigentlich überall in Irland – an den Verwüstungen der Wikinger und der Soldaten Cromwells, die aus den Steinen des Klosters eine Festung bauten und die verbliebenen Mönche dort ins Verlies sperrten. Rund um die kleine Kirche sollen neben Enda selbst 120 Heilige beerdigt sein.

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Sterbliche Seelen und ewiges Leben

DSC00122Als Dallas Willard letzte Woche starb, habe ich mich erinnert an das Gespräch mit einigen Freunden während der Wochen über Tod und ewiges Leben. Unter anderem kamen wir auf den traditionellen Leib-Seele-Dualismus, nach dem die Seele das ist, was von einem Menschen übrig bleibt, wenn der Körper stirbt und verwest. Die immaterielle „Seele“ ist zugleich das Ewige, der Leib das offenkundig Vergängliche.

Platon, von dem dieses Modell stammt, hatte sich die Seele feinstofflich vorgestellt, für ihn handelte es sich um eine Substanz. Heute wissen wir, dass es so nicht funktioniert. Es wird überhaupt zunehmend schwerer, diese dualistische Sicht des Menschen aufrecht zu erhalten. Unsere ganze Person ist leiblich. Alle unsere Empfindungen, Wahrnehmungen, Erinnerungen, Gedanken, Bewusstsein und unbewusstes, unser Selbst oder wie man das auch nennen mag, existiert in einer verleiblichten Form und kann davon höchstens gedanklich abstrahiert werden, aber nicht gelöst. Dallas Willard hingegen hatte „Seele“ als die Gesamtheit der geistleiblichen Existenz des Menschen samt aller Beziehungen bestimmt – das Lebewesen samt Bewusstsein und aller Verhältnisse in die Welt hinein. So ganzheitlich verstanden ist „die Seele“ – der Mensch – also keineswegs ewig, sondern eminent sterblich. Ohne Leib gibt es kein Weltverhältnis mehr.

Eine verbreitete Gegenposition zu Platon wäre nun, mit vielen anderen zu sagen, das Ganze ließe sich auf rein materielle neurobiologische Prozesse reduzieren und wäre dann mit dem Abbruch der Körperfunktionen auch erledigt. Dann wäre der Tod das unwiderrufliche Ende der Person, alle Nahtoderfahrungen Illusion und der Horizont aller Hoffnung radikal begrenzt.

Der Glaube an die Auferstehung von den Toten liegt zwischen diesen Extremen und mutet uns einiges an Denkarbeit zu: Wenn nämlich die Seele keine Substanz ist, die ihre Hülle verlustfrei abstreift und in den Äther verschwindet, wie muss lässt sich dann das Weiterleben eines Menschen nach dem physischen Tod denken? Der Auferstandene wird in den Evangelien ja nicht als immaterieller „Geist“ geschildert. Zugleich sah er offenbar anders aus als vorher – erst das, was er sagte, machte ihn identifizierbar.

Dallas Willard hat sinngemäß gesagt, der Mensch sei eine Abfolge bewusster Erfahrungen. Ich würde das ganz ähnlich sagen – das Wesentliche an mir ist meine Geschichte: meine Erinnerungen, was mich durch die die Beziehungen zu anderen erreicht hat und was umgekehrt bei anderen angekommen ist (also die geteilte Erinnerung). Ich könnte mir vorstellen, dass bis zur Auferstehung der Toten, die ja noch aussteht, diese Erinnerungen bei Gott (dem einzigen anderen Wesen, das sie lückenlos kennt) aufgehoben sind, bis sie in einer anderen Dimension, aber keineswegs außerhalb dieser (dann geheilten und vollendeten) Welt, leiblich auf den Plan treten. Auch wenn ein technischer Vergleich zwangsläufig hinkt: Gott hätte so gesehen ein „Backup“ meines Lebens und Bewusstseins in seiner Erinnerung, das irgendwann auf neuer, kompatibler „Hardware“ wieder „lauffähig“ ist. Freilich haben wir (zumindest wenn wir vergessen, dass es nur eine Metapher ist) statt eines Leib-Seele-Dualismus den von Soft- und Hardware.

Eine offene Frage ist dabei noch, wie es sich mit der Zeit verhält. Vielleicht gibt es auch gar kein subjektiv erlebbares Intervall zwischen „jetzt“ und „dann“ – so wie man ja auch nicht weiß, wie lange man geschlafen hat, bevor man wachgeküsst wurde; oder weil die Lücke nur aus unserer Perspektive linear ablaufender Zeit im dreidimensionalen Raum entsteht und unter den Bedingungen der neuen Welt (oder wie Tom Wright gern sagt: im „Leben nach dem Leben nach dem Tod“) andere Gesetze gelten. Vielleicht besteht also zwischen dem „entkleidet werden“ und dem „überkleidet werden“, von dem Paulus in 2.Kor 5 schreibt, gar kein so großer Unterschied?

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