Von Leitbildern und ausschließender Differenz

Die Diskussionen um die Orientierungshilfe der EKD zur Familie als verlässlicher Gemeinschaft dauern an. Während die Befürworter des Papiers wie Landesbischof Bedford-Strohm mit Recht darauf hinweisen, dass die Ehe (die nicht der primäre Gegenstand der Reflexion war) durchaus als Leitbild fungiert, stoßen sich die Kritiker daran, dass für sie klare Grenzen unverantwortlich verwischt werden.

Die hier schon erwähnte Unterscheidung zwischen der einschließenden und der ausschließenden Differenz hilft, die beiden Seiten zu verstehen. Die Autoren regen an, zentrale traditionell christliche Werte wie Liebe und Treue, Verantwortung und Verlässlichkeit auch in anderen Formen von Familie und Partnerschaft zu übertragen. Hier wird eine Differenz nicht aufgehoben oder verschwiegen (da irrt und verzerrt die konservative Kritik!), aber es wird das Gemeinsame in den Vordergrund gerückt und gewürdigt.

Die Kritiker denken durchweg im Sinne einer ausschließenden Differenz: Die Aussage, dass Liebe und Treue auch in einem anderen Rahmen als der institutionellen Ehe von Mann und Frau gelebt werden können, kann da nur stören und irritieren. Fehlt der Trauschein, dann steht alles unter einem negativen Vorzeichen. In einer Pressemeldung der Evangelischen Allianz von letzter Woche heißt es: „Ehe ist die lebenslängliche Treue- und Liebesgemeinschaft zwischen einer Frau und einem Mann, die öffentlich-rechtlich geschlossen wird. Familie ist eine solche durch Kinder ergänzte Gemeinschaft.“ Und man darf durchaus davon ausgehen, dass damit auch der Ausdruck Familie exklusiv denen vorbehalten ist, die dieser Definition entsprechen: Ein heterosexuelles Paar mit seinen „biologischen“ Kindern.

Alles andere (Patchwork- und Regenbogenfamilien, aber natürlich auch Alleinerziehende) erscheint damit notgedrungen als minder-wertig, ja sogar als schädlich, wenn es weiter heißt: „Sie [die so definierten Familien] sind für die seelische Gesundheit und Ausgeglichenheit von Menschen und damit auch für die Gesundheit staatlich geordneter Gemeinschaft unverzichtbar.“ Eine conditio sine qua non gelingenden Lebens also, für das Individuum wie die Gesellschaft als ganze.

Entsprechend werden dann auch die unterschiedlichsten staatlichen Privilegien für die Familie gefordert. Vermutlich ist das ja als Anreiz zum Upgrade auf die Vollversion von Ehe 1.0 gedacht; das wäre dann die exklusivistische Interpretation des Leitbildgedankens, freilich ist dieser Schritt etwa für Homosexuelle durch die vorausgestellte Definition kategorisch ausgeschlossen.

Der inklusive Ansatz setzt nun gewiss weniger direkte Anreize zum Upgrade, wenn er mit dem Gedanken spielt, dass sich auch in Beziehungen, die nicht allen oben aufgezählten Kriterien genügen, vieles Gute und Segensreiche ereignet. Aber er kann sagen, was die anderen zumindest offiziell nicht sagen dürfen, ohne dass in den eigenen Reihen lautstarke Zweifel aufkommen, warum man sich eigentlich die ganze Mühe macht mit dem Heiraten und dem Es-Miteinander-Aushalten, wenn das nicht von außen (!!) honoriert wird. Und er vermittelt Paaren, die aus den verschiedensten Gründen nicht „richtig“ heiraten, dass Gott und die Kirche sie nicht nur irgendwie tolerieren, sondern sie auch auf ihrem anderen Weg positiv begleiten.

Im Begriff des „Leitbildes“ ist es im Grunde ja schon angelegt, ihn inklusiv zu verstehen, er ermöglicht unterschiedliche Grade von Annäherung statt alles in ein scharfkantiges Drinnen/Draußen zu pressen. Über die inhaltliche Beschreibung dieses Leitbildes scheint es mir nicht annähernd so große Differenzen zu geben wie um seine ein- oder ausschließende Funktion.

In den meisten Organisationen, die ein Leitbild haben und es auch wirklich ernst nehmen, wird man es als Gewinn betrachten, wenn sich möglichst viele in die Richtung bewegen, die es weist. Man freut sich auch über zaghafte Ansätze und vermeidet kontraproduktive Alles-oder-nichts-Parolen. Freilich wird man sich auch Mühe geben, dieses Leitbild möglichst originell und motivierend zu formulieren, und in dieser Frage könnten ja nun alle Seiten fröhlich wetteifern.

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