Worauf wir zählen können

Ein sehr lieber Freund ist letzte Woche tödlich verunglückt. Mehr als mein halbes Leben haben wir Höhen und Tiefen des einen wie des anderen geteilt. Unsere Kinder sind zusammen groß geworden, ich erinnere mich an Ausflüge, Urlaube und Feste, das letzte ist gerade zwei Wochen her.

Die Schockwellen laufen unvermindert durch diese Tage, durch die Gemeinde, den Freundes- und Bekanntenkreis. Ich staune, was für eine physische Wucht Trauer hat – auf einzelne und auf Gemeinschaften.

Unter den vielen Fragen und Gedanken, die sich melden, ist auch die Erinnerung an Taufen und Kindersegnungen, wo wir – erst vor wenigen Wochen wieder – Psalm 91,12 zitiert haben:

Er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.

Natürlich ist das der Wunsch aller Eltern für ihre Kinder, aller Menschen für ihre Lieben, dass ihnen Schicksalsschläge erspart bleiben. Nur kann ich nicht erkennen, dass sie Christen oder religiöse Menschen seltener träfen. Willkürlich und unerklärlich widerfährt Leid, wie auch glückliche Rettung aus Gefahr, den einen ebenso wie den anderen. Oder wie Jesus es ausdrückte: Gott lässt die Sonne scheinen über Gerechte und Ungerechte.

(Bevor jetzt jemand eilig protestiert: Angenommen, es ließe sich statistisch nachweisen, dass Christen seltener von Unfällen und schweren Krankheiten betroffen wären, wäre das nicht ein recht zwiespältiger Anreiz, sich dem Glauben zuzuwenden?)

Gott als eine Art metaphysische Lebensversicherung zu betrachten, ist also problematisch. Er nimmt sich ganz offenbar die Freiheit, solche Erwartungen zu enttäuschen. Eher können wir darauf zählen, in solchen Momenten nicht einsam, sondern verstanden und geborgen zu sein.

Jesus wird in Lukas 3 übrigens auch mit eben diesem Bibelwort konfrontiert – er hört es aus dem Mund des Versuchers. Es geht für ihn vordergründig darum, sich mutwillig in Gefahr zu begeben, um ein Wunder zu provozieren. Es steht für Jesus in diesem Moment aber auch auf dem Spiel, wer Gott für ihn ist: der Garant eines spektakulär schmerzfreien Lebens oder der, der die Freiheit hat, ihm Leid zuzumuten – im Vertrauen darauf, dass er es schließlich und endgültig doch in Freude verwandelt, zu der es leider keine Abkürzung gibt.

In eben dieser Spannung beten wir das Vaterunser – dass Gottes Wille geschieht, dass wir vom Bösen erlöst werden und dass wir die Geduld geschenkt bekommen, in der Zwischenzeit die Hoffnung und den Glauben nicht zu verlieren. Das Gegenteil von Freude, sagte Klemens Schaupp letzte Woche, ist nicht Trauer, sondern Bitterkeit.

Die gute Nachricht lautet also, dass der Tröster unter uns wirkt. Die schlechte Nachricht ist, dass wir ihn oft bitter nötig haben. In diesen Tagen ist das für mich mit Händen zu greifen. Oder, um es mit einen Rilke-Zitat zu sagen:

Wenn etwas uns fortgenommen wird,
womit wir tief und wunderbar zusammenhängen,
so ist viel von uns selbst mit fortgenommen.
Gott aber will, dass wir uns wiederfinden –
reicher um alles Verlorene und vermehrt
um jenen unendlichen Schmerz.

(Bild: Dandelion by Seyed Mostafa Zemani, flickr.com/creative commons 2.0)

Share