Gott ist kein Schulmeister: Von Begrenzungen, Bewertungen und Barmherzigkeit

Letzte Woche diskutierte ich mit einer Gruppe über einen Gedanken aus Parker Palmers ebenso kleinen wie klugen Buch Let Your Life Speak. Es ging um Gottesbilder und die Frage, wie diese sich auf unsere Lebenseinstellung auswirken. Palmer kontrastiert das Bild des Schulmeisters, der uns anhand seines moralischen Maßstabs bewertet und uns immer mit dem konfrontiert, was sein sollte (und oft nicht oder noch nicht ist), mit dem „Ich bin der ich bin“, dem Gott, der im Herzen und Grund aller Wirklichkeit wohnt und uns für das öffnet, was ist. Und dafür, wer wir sind.

Ich hatte mich etwas schwammig ausgedrückt, und dann brachte es jemand aus der Gruppe schön auf den Punkt: Dieser Gott bewertet mich überhaupt nicht. Und mir fiel sofort das Verbot des Richtens in der Bergpredigt ein und Paulus, der in 1Kor 4,3 seinen Kritikern schreibt, dass er sich nicht einmal selbst beurteilt.

Natürlich kam die Rückfrage, wie dann die vielen Aussagen über ein göttliches Gericht und Urteil in der Bibel zu verstehen seien. So weit ich das sehe, geht es in den biblischen Aussagen über das Gericht darum, wie wir unserer Verantwortung für andere Menschen gerecht werden. Wir werden das nicht immer und wir müssen an diese Verantwortung erinnert werden.

Aber das ist etwas anderes als jenes Bewerten der Person, das für die meisten in dem Bild des Schulmeisters mitschwingt. Es geht um konkrete Menschen und praktische Situationen, nicht um abstrakte und absolute moralische Prinzipien. Ich werde meiner Verantwortung nur gerecht als der, der ich bin – innerhalb jener Grenzen, die die Kehrseite meiner Stärken und Fähigkeiten sind, Und es geht aus biblischer Sicht darum, anderen Barmherzigkeit zu erweisen. Das ist leichter, wenn mir nicht dieser unbarmherzige, fordernde und perfektionistische Schulmeister im Hinterkopf herumspukt.

Der Gott, der mich mit meinen Begrenzungen liebt, lässt mich barmherzig sein mit mir selbst – und auf diesem (Um-)Weg auch mit anderen. Es ist gerade der Verzicht auf Bewertungen, der zur Liebe befreit. Denn überall, wo wir lieben und geliebt werden, spielen Bewertungen nach Leistung, Erfolg und anderen Maßstäben, die außerhalb der geliebten Person und dem Liebesverhältnis liegen, keine Rolle mehr.

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