Pfingstliche Versuchungen

Sehr wahrscheinlich war ich nicht der einzige, der sich in den letzten Tagen Gedanken über das zweite Kapitel der Apostelgeschichte gemacht hat. Wie geht man mit einem solchen Text um? Mir sind vier mäßig gute Wege dazu eingefallen:

Das verklärte Andenken: So war das mal. Die gute alte Zeit. Hach…

Der hohe Anspruch: Die begeisterte Urgemeinde als Ideal, an dem wir uns messen lassen müssen.

Die technische Anleitung: Wenn wir es genauso machen wie die Jünger damals (z.B. täglich zusammen beten und ein Herz und eine Seele sind), bekommen wir dieselben Ergebnisse (exponentielles Gemeindewachstum wie in Korea, Nigeria, oder anderen Boomregionen des Glaubens).

Die Schrift als Beweisstück der Anklage: Die Leute damals hatten viel mehr von dem, was wir uns wünschen/haben sollten/brauchen. Was zur nächsten Frage führt, nämlich: Wer ist daran schuld, dass es bei uns so mau aussieht? Wir alle? Das Lager unserer theologischen Gegner? Die Gemeinde- oder Kirchenleitung? Die Kirchenmusik?

Ein (nicht sonderlich origineller) Spezialfall der letzten Variante ist die schroffe Antithese von Heiligem Geist und Zeitgeist. In der Regel reklamierten Konservative gern ersteren für sich und warfen all jenen, die sich auf die komplexen Fragen unserer Gesellschaft einlassen, vor, sie ließen sich vom Zeitgeist verführen. So weit, so langweilig.

Inzwischen allerdings kehrt sich diese Geschichte um: Der Zeitgeist hat längst ausgesprochen reaktionäre Züge angenommen. Er neigt zur Abschottung, zum Autoritarismus und zur Angstmacherei vor allem Fremden. Der Zeitgeist 2016 liebt starke Männer und einfache Antworten, er hegt Ressentiments gegen Intellektuelle und Journalisten („Gutmenschen“ eben, oder alles, was als „links“ und „liberal“ wahrgenommen wird). Er traut nur denen, die denselben Dialekt sprechen, und definiert Identität im Ausschlussverfahren.

Diese Bewegungen haben gerade weltweit mächtig Aufwind. Aber mit Gottes Geist hat das herzlich wenig zu tun, auch wenn das Brausen derzeit mächtig ist und es an vielen Stellen zu brennen beginnt. Wenn ich allerdings lese, was Papst Franziskus oder der Rat der EKD dazu schreiben, dann ist mir um die Kirche nicht bange. Es ist noch genug guter Geist da, um Widerstand zu üben.

In diesem Sinne – frohe Pfingsten!

Share