Weisheit der Woche: Besser nichts Neues?

Vielleicht weil es ihre Hauptaufgabe ist, eine zweitausend Jahre alte Tradition zu bewahren und weiterzugeben, scheint die Kirche mehr interessiert daran, die Wahrheit zu verteidigen, als sie zu entdecken. Neue Wissenschaft, neue Theologie, neue Liturgie und neue Bildsprache werden üblicherweise eher herablassend oder gar ausgesprochen feindselig zur Kenntnis genommen. So als hätte Gott mehr mit dem zu tun, was schon geschehen ist, und weniger mit dem, was als nächstes geschieht. Wenn Sie das nicht glauben, bezeichnen sie den Heiligen Geist doch im nächsten Gottesdienst einfach mal als „sie“, und warten Sie die Reaktion ab.

Barbara Brown Taylor, The Luminous Web, S. 84

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Was würde Jesus zu Bastian Schweinsteiger sagen?

Der Fußball verabschiedet sich allmählich in die Sommerpause. Ich denke über Ikonographie nach: Wie Fußball und Glaube manchmal ähnliche Bilder hervorbringen.

Vordergründig hätten der orientalische Jesus und der germanische Recke, als der Bastian Schweinsteiger oft abgebildet wurde, wenig gemein. Aber zu diesen Bildern haben sich andere gesellt.

Das erste ist das vom Schmerzensmann. Zwei Szenen sind mir noch besonders bewusst: Die eine kennt vermutlich jeder, der blutende Kapitän aus dem WM-Finale 2014, dem seine Gegner eine Wunde nach der anderen zufügten und der mit stoischer Ruhe alles wegsteckte und uns Verrecken nicht liegenbleiben wollte.

Die andere, etwas weniger bekannte, ist aus dem „Finale dahoam“ von 2012, als der FC Bayern das Finale der Champions League verlor und Schweinsteiger im Elfmeterschießen den Innenpfosten traf. Später erfuhren alle, die es dann noch interessierte, dass er nach einem Tritt gegen die Wade insgesamt 115 Minuten mit Schmerzen weitergespielt hatte.

Zweitens ist da Schweinsteiger, der Abgeschriebene. Der Titel „Fußballgott“ wird immer wieder mal vergeben. Fast immer sind quasi-messianische Erwartungen daran geknüpft. Wehe, wenn sie enttäuscht werden! Kaum ein anderer Spieler wurde so oft von den Medien demontiert und gedemütigt wie Schweinsteiger in seiner Münchener Zeit. Und als er dann nach Manchester ging, kam Trainer Jose Mourinho und setzte das Spiel fort. Schweinsteiger ertrug alles ruhig und ohne die Aggression zu erwidern. Es war diese Haltung, mit der er seine Kritiker ein ums andere Mal widerlegte: Irgendwie unerbitterlich.

Wenn Jesus Bastian Schweinsteiger träfe, dann säßen zwei Ikonen zusammen. Zwei Schmerzensmänner, zwei Abgeschriebene, die einander viel zu erzählen hätten. Der eine hat sich für sein Team und die Fans aufgerieben (und ja, bevor das jemand meint anmerken zu müssen, er wurde dafür auch wirklich gut bezahlt), der andere – unbezahlt – für seine Nachfolger, für sein Volk und letztlich für die Menschheit.

Nachdem diese Rolle aber kein zweites Mal vergeben wird, denke ich, Jesus würde seinem Mitspieler Bastian den Arm um die Schulter legen und ihn fragen, wofür er sein Talent, Schmerzen und Verachtung zu ertragen, ohne dabei Mut und Motivation zu verlieren, als nächstes einsetzen möchte, wenn es mit dem „beautiful game“ irgendwann mal vorbei ist. Vielleicht gibt’s dafür weniger Geld, aber das ist dann auch nicht mehr wichtig, vermute ich.

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Engste Ängste

Die Wochentage bis Pfingsten bin ich noch im Predigerseminar, dann ist dieser Teil des Vikariats auch schon vorbei. Ich finde es faszinierend, wie ganzheitlich und vielseitig man dort ausgebildet wird. Da wäre zum Beispiel die tägliche Konfrontationstherapie gegen Klaustrophobie.

Ich muss das kurz erklären: Ängste und Zwänge werden mit sogenannten Expositionen behandelt. Man setzt sich einem bestimmten Reiz aus, bis dieser seine destabilisierende Wirkung verliert. Im Nürnberger Predigerseminar findet dies in winzigen Nasszellen statt, die man (vordergründig natürlich zur Körperpflege) in jedes Zimmer eingebaut hat. Um den Effekt zu steigern, gibt es dort textile Duschvorhänge, die sich von mindestens zwei Seiten an den nassen Körper kleben, sobald man sich bewegt oder ein Luftzug den Stoff zum Schwingen bringt. Dann wird es richtig kuschelig.

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(Foto: tertia van rensburg/unsplash.com)

Ich würde jetzt nicht sagen, dass es mich nicht mehr stört. Aber die Fluchtreflexe und Panikattacken haben erkennbar nachgelassen. Ich bin sicher, unsere Ausbilder werden uns irgendwann noch erklären, warum genau das für werdende Pfarrer*innen wichtig ist.

Ein paar Vermutungen hätte ich schon…

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Ich erzähle, also bin ich

Rowan Williams, der frühere Erzbischof von Canterbury, ist einer der bedeutenden theologischen Denker unserer Zeit. In „The Edge of Words“ wirft er einen gründlichen Blick auf das Phänomen der menschlichen Sprache und deren Bedeutung für das Reden von Gott. Keine einfache Lektüre, aber eine gewinnbringende, wie ich finde, nachdem ich über die letzten Wochen immer wieder darin gelesen habe.

Gleich im ersten Kapitel greift er ein Reizwort auf, nämlich die Frage nach einer „natürlichen Theologie“ – also eines Redens von Gott, das (noch) keine besondere Offenbarung und Tradition voraussetzt, sondern von Erfahrungen und Beobachtungen ausgeht, die allen Menschen – ob religiös oder nicht – zugänglich sind. Angelpunkt seiner Überlegungen ist dabei nicht die Naturwissenschaft und ihre Gegenstände, sondern die Eigenart menschlichen Denkens und Redens.

Ich komme darauf später noch einmal zurück, zunächst möchte ich ein paar Gedanken aus dem dritten Kapitel aufgreifen, in dem es um das Selbst als ein sprachliches und zeitliches Phänomen geht. Wieder setzt Williams beim Reden an. Eine Aussage zu verstehen, sagt er, heißt das Gesagte fortführen zu können. Das schlichte oder sture Nachplappern ist noch kein ausreichender Beleg für ein Verstehen. Wenn ich an die Äußerung eines anderen anschließe, dann baue auch auf dem zuvor Gesagten auf und schaffe einen Ausgangspunkt für spätere Äußerungen. Williams zieht hier eine Linie zu Hegels berühmten Satz, dass alles Wirkliche vernünftig ist:

Das, wovon wir sprechen, ist immer schon eine Wirklichkeit, über die man redet – über die man geredet hat, redet und reden wird, die es erfordert, dass man von ihr redet und über die man nicht reden kann, ohne über das Sprechen zu sprechen, das Denken nachzudenken, das von ihr handelt, und damit auch den sozialen Verhältnissen, unter denen dieses Reden stattfindet. Das Wirkliche ist das, worüber man reden kann – nicht in dem Sinne, dass wir in der Lage wären, adäquate wörtliche Entsprechungen oder logische Bilder für alles in der Welt zu finden, sondern (beinahe im Gegenteil) so, dass die Umwelt, der wir uns gegenübersehen, für uns nur insofern „wirklich“ ist, als sie sich in unserer Sprache niederschlägt und diese zu ständig neuen Anpassungen und neuen Darstellungsweisen drängt. (70)

Aus dieser Perspektive wirft Williams nun einen Blick auf die Frage nach dem Selbst. Ein zeitloses, unveränderliches Selbst kommt nach diesem Verständnis von Wirklichkeit nicht in Frage. Aber da wir gar nicht anders können, als von uns selbst in der ersten Person zu reden, und weil wir uns selbst erst dadurch verstehen, dass wir über uns reden, folgert er:

Was ist das wirkliche Selbst? Die einzig begründbare Antwort in diesem Zusammenhang scheint zu sein, dass es die Tat ist, die hier und jetzt Ereignisse, die aus der Vergangenheit erzählt werden, und mögliche Handlungsverläufe für die Zukunft zu einer Geschichte versammelt, die unablässig revidiert wird, von einer Darstellung zur nächsten. (81)

Indem ich mich so ins Gespräch bringe, setze ich mich auch der Möglichkeit aus, dass andere neue Aspekte ins Gespräch bringen, die bald Konfrontation, bald Bereicherung sein können (das Selbst ist also gerade kein Selbstgespräch!). In der Feier der Eucharistie zum Beispiel ist es die Geschichte der Selbsthingabe Christi, in der uns die Frage begegnet, wie es um die Verbindung mit Christus bestellt ist, und in der uns der Geist Gottes nur mit den Ereignissen des Sterbens und der Auferweckung Christi verbindet. Denn das Selbst entwickelt sich auch im Dialog mit den „normativen Diskursen“ unserer Welt – religiöse Diskurse natürlich eingeschlossen.

Eine Haltung des „Glaubens“ ließe sich für Williams darin erkennen, dass das Selbst sich im vollen Bewusstsein seiner Unvollkommenheit dem Diskurs mit anderen angstfrei stellt, weil es darauf vertraut, dass es jenseits der anderen, ebenfalls auf Anerkennung bedachten und von Eigeninteressen geleiteten Subjekte noch ein Gegenüber hat. Ein Gegenüber, das frei ist von konkurrierenden Ansprüchen und uns mit mit bedingungsloser Offenheit begegnet. „Gnade“ wäre hier der passende theologische Begriff. Noch wichtiger als Begriffe (oder deren Negation) ist in der christlichen Tradition jedoch das Narrativ. In den Gleichnissen Jesu ist immer wieder von Situationen die Rede, in denen es darum geht,

… offen zu sein für die Gnade des Unausgesprochenen und nicht Systematisierbaren. Und wir könnten das Gleichnis des Lebens und Sterbens Jesu als das sehen, worauf Jesu Erzählungen hinauslaufen, den Erweis der Folgen dessen, dass das Unbedingte sich im Leben eines Menschen ausspricht und handelt. (89)

Williams qualifiziert das Narrativ der Evangelien unter anderem als Gnade, Offenheit, den Verzicht auf Selbstsicherung; und damit hebt er es ab von anderen Narrativen, wie etwa dem völkischen Mythos des Rechtspopulismus, der im Übrigen nicht zum Dialog, sondern zum Ausschluss und zur Verdrängung alles Anderen und Fremden ruft, und dem Individuum die Aufgabe abnimmt, immer neue Anpassungen und Darstellungsweisen von sich selbst zu formulieren.

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