Gott, die Schulden und die Griechen

Christsein als Erlösung aus einer Schuldenkrise – das ist das Paradigma von Erlösung, das die westliche Christenheit seit Anselm von Canterbury pflegt, schrieb der britische Theologe Giles Fraser vor einer Weile im Guardian (danke an Christian Renz für den Tipp!). Menschen haben sich bei Gott verschuldet, ein Ausgleich ist nötig, aber sie können ihn nicht leisten. Erst der blutende und sterbende Christus schafft den Bailout für die Menschen und sorgt dafür, dass die vormals miese Bilanz wieder stimmt. Der Preis ist bezahlt, davon singen vor allem Evangelikale praktisch jeden Sonntag im Gottesdienst, ganz besonders freilich an Karfreitag und Ostern.

Die orthodoxe Kirche hat davon nichts mitbekommen. Sie hat sich 1054 vom Westen getrennt (Anselm erfand seine Satisfaktionstheorie erst 1089). Für die Ostkirche ist Ostern kein Bailout, sondern ein prison breakout, daher ist er mit der Kreuzigung auch nicht abgeschlossen, sondern erst mit der Auferstehung. Christus schafft den Ausbruch aus dem Gefängnis des Todes und nun steht diese Tür allen Menschen offen. Erlösung ist ein Machtkampf und keine Frage der Buchhaltung. Mehr Drama als Deal.

Fraser sieht (so weit ich sehe, ganz zutreffend) in Angela Merkel die Repräsentantin westlicher Erlösung durch schmerzhafte Tilgung der Schulden und in Alexis Tsipras den Vertreter der östlichen Sicht, weil er die Schuldenlast abschütteln will, ohne den von ihr Betroffenen unmenschliche Qualen aufzubürden.

So weit, so schön. Allerdings fragt Fraser zwischendurch rhetorisch, was denn Sünde mit Schulden zu tun habe. Und da würde ich ihm, bei aller gemeinsamen Abneigung gegen das westliche Erlösungsparadigma, widersprechen. Wir finden die Verbindung in den beiden Textvarianten des Vaterunsers: Bei Matthäus wird um den Erlass von Schulden gebetet, während im Lukasevangelium an gleicher Stelle die Vergebung der Sünden erscheint. Und es ist gut vorstellbar, dass die Schulden die ursprünglichere Formulierung sind. Jesus hatte ständig mit Menschen zu tun, für die das ein sehr reales Problem war, daher taucht die Schuldenproblematik in etlichen Gleichnissen auf, wie Richard Horsley detailliert herausgearbeitet hat.

Ein kürzlich erschienener Appell verschiedener Theologen, den das Institut für Theologie und Politik in Münster veröffentlicht hat (danke dafür an Walter Faerber!), nimmt denn auch genau diesen Faden wieder auf, zieht aber eine ganz andere Konsequenz als die Bundesregierung, weil sie Gott nicht in das menschliche Schuldenproblem verwickelt, wie Anselm und seine Nachfolger das taten und tun. Gott beharrt keineswegs auf dem Ausgleich, sondern er verzichtet darauf und widerspricht der gnadenlosen Logik der Kompensation:

Schulden müssen erlassen werden, wenn sie nicht zurückgezahlt werden können und zu Verelendung und Armut führen. Nach der Bibel besteht die Schuld des Menschen vor Gott darin, unbezahlbare Schulden unerbittlich einzutreiben. Gott erlässt dem Menschen die Schuld, die er bei Gott hat, wenn Menschen die Schulden erlassen, die andere bei ihm haben. Die Bibel enthält die jahrtausende alte Weisheit, die sich auch heute in Griechenland bewahrheitet: Unbezahlbare Schulden zerstören das Leben des Schuldners. Die Vaterunser-Bitte “Und vergib uns unsere Schulden” verlangt Verzicht auf die Erfüllung von Gesetzen, die Menschen umbringen. Um des menschlichen Lebens willen, damit also Schuldner leben können, bittet das Vater-unser um Widerstand gegen das Gesetz, dass die Schulden bezahlt werden müssen.

Deutschland hat vom Schuldenerlass nach dem 2. Weltkrieg profitiert, schreiben die Autoren. Nun wäre es an der Zeit, sich zu erinnern und das folgende Jesuswort zu beherzigen:

Wenn ihr denen leiht, von denen ihr es wieder zu erhalten hofft, welchen Dank habt ihr da? Denn auch Sünder leihen Sündern, um das gleiche zurückzuerhalten. … tut Gutes und leihet ohne zurückzuerwarten, und euer Lohn wird groß sein, und ihr werdet Söhne des Höchsten sein … ( Lk 6,34-35)

P.S.: Papst Franziskus thematisiert Schuld und Schulden aktuell in „Laudato Si!“ mit dem Hinweis auf die ökologischen Folgen von Schulden und Ausbeutung der armen Länder:

Die Auslandsverschuldung der armen Länder ist zu einem Kontrollinstrument geworden, das Gleiche gilt aber nicht für die ökologische Schuld. Auf verschiedene Weise versorgen die weniger entwickelten Völker, wo sich die bedeutendsten Reserven der Biosphäre befinden, wei- ter die Entwicklung der reichsten Länder, auf Kosten ihrer eigenen Gegenwart und Zukunft. Der Erdboden der Armen im Süden ist fruchtbar und wenig umweltgeschädigt, doch in den Besitz dieser Güter und Ressourcen zu gelangen, um ihre Lebensbedürfnisse zu befriedigen, ist ihnen verwehrt durch ein strukturell perverses System von kommerziellen Beziehungen und Eigentumsverhältnissen.

 

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