Aktive Hoffnung – drei Stories

Ich bin den Gedanken von neulich etwas mehr nachgegangen und zwar mit dem Buch Active Hope: How to Face the Mess We’re in Without Going Crazy von Joanna Macy und Chris Johnstone. Die Autoren beschreiben dort drei unterschiedliche Erzählungen, an denen wir uns Lebensgefühlt und unsere Entscheidungen in der Regel ausrichten. Damit aber prägen sie den Umgang mit Schöpfung, Umwelt

Die erste Geschichte heißt „Business as Usual“. Wir machen einfach weiter wie bisher und hoffen, das mehr vom Selben (d.h. Wirtschaftswachstum) uns eine stabile und lebenswerte Zukunft beschert, schließlich hat das ja lange ganz gut funktioniert für die meisten von uns. Es geht darum, vorwärts zu kommen (als einzelne, als Firma, als Nationalstaat) – für die Probleme anderer sind wir hingegen nicht zuständig.

Die zweite Geschichte ist die vom großen Absturz: Die Wirtschaft erlebt verheerende Einbrüche, die Ressourcen sind endlich und dieses Ende wird desto schneller erreicht, je weniger wir die Endlichkeit im Blick haben und alles zumüllen, das Klima wandelt sich und das Artensterben beschleunigt sich, soziale Spaltung und gewaltsame Konflikte nehmen zu oder dauern unvermindert an.

Diese beiden Erzählungen stehen in krassem Widerspruch zu einander. Die eine immunisiert Menschen gegen drohende Katastrophen, die andere kann in Hoffnungslosigkeit umschlagen. Als dritte Option steht noch die Geschichte von der großen Wende im Raum: Die Lage ist zwar sehr ernst, aber noch besteht die Möglichkeit, etwas daran zu verändern, und wer es ernsthaft versucht, der entdeckt mehr Verbündete, als er zu hoffen gewagt hatte.

Bevor ich die letzte Geschichte noch etwas genauer beschreibe, vielleicht kurz noch dies: Sie steht der christlichen Eschatologie deutlich näher als die beiden anderen. Weder sieht der christliche Glaube die Welt auf einem steten Aufstieg durch Fortschritt und Wachstum, noch sieht sie alles hoffnungslos im Verfall begriffen. Und nicht zuletzt sieht sie Gott als treibende Kraft in und hinter allem Wandel zum Guten. Strukturell also steht die Geschichte von der großen Wende dem Evangelium am Nächsten, auch wenn von Gott da (noch) keine Rede ist.

Damit es zu dieser ökologisch-sozialen Wende kommt, muss auf drei Ebenen etwas vorangehen – beziehungsweise „zurück“, nämlich in eine gesunde Richtung: Erstens geht es um Wege, die weitere Zerstörung unserer Lebensgrundlagen und Ökosysteme zu verhindern. Zweitens brauchen wir neues, kreatives Denken und dann auch Strukturen und Systeme, die den Wandel befördern: Kommunikation, Ökonomie, Transportwesen, Landwirtschaft, Bildung, Psychologie etc. Auch diese wachsen nur allmählich heran, aber ohne sie laufen wir der Zerstörung immer nur hinterher. Drittens aber ist ein Bewusstseinswandel erforderlich. In der Wissenschaft wir im Bereich der Spiritualität haben Menschen in den letzten Jahren entdeckt, dass wir nicht nur ein Teil unserer Welt sind, sondern wie alles mit allem zutiefst zusammenhängt.

Nicht jeder wird überall gleichzeitig einsteigen, aber gemeinsam sollte man alle Ebenen im Blick behalten, wenn der Wandel nicht versanden soll. Mehr dazu in Kürze.

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„Entweltlichung“ – neuer Papst, neuer Ansatz

Den Unterschied zwischen dem alten und dem neuen Papst, wenn es um die Rolle der Kirche in der Welt und das Verhältnis beider Größen zu einander geht, hat der Mainzer Sozialethiker Gerhard Kruip in einem Beitrag auf der Website der Caritas wunderbar griffig und treffend beschrieben. Da es im Protestantismus ganz ähnliche Differenzen gibt, lohnt sich auch für Nichtkatholiken ein kurzer Blick, hier ein Auszug:

Papst Benedikts Forderung nach Entweltlichung ist geprägt von einer dualistischen Gegenüberstellung von Welt und Kirche, wobei der Welt der negative, der Kirche der positive Part zukommt. Zwar soll sich die Kirche nicht aus der Welt zurückziehen, aber die Kirche hat von der Welt nichts zu lernen, braucht nicht in einen Dialog mit ihr einzutreten, braucht in ihr nicht nach Zeichen der Gegenwart Gottes zu suchen, weil sie selbst dieses Zeichen schon ist. Alles Negative in der Kirche wird auf Einflüsse der Welt zurückgeführt, so auch die Missbrauchsfälle, und das, obwohl es ja auch gerade „die Welt“ war, die die Kirche dazu gezwungen hat, ihre Praxis der Vertuschung zu überwinden. Auch Jorge Mario Bergoglio hatte am 9. März im Vorkonklave von einer „weltlichen“ oder „verweltlichten“ Kirche gesprochen (in manchen Übersetzungen mit „mondäner Kirche“ wiedergegeben) und meinte damit eine „narzisstische“, „selbstbezügliche“ Kirche, die „in sich, von sich und für sich“ lebt, die glaubt, selbst das Licht zu sein, während das Gegenteil für ihn eine Kirche ist, „die aus sich selbst herausgeht, um zu evangelisieren“, die „bis an die Peripherien“ geht. Die Kritik der beiden Päpste an der Kirche mag ähnlich klingen, aber die vorgeschlagenen Heilmittel sind verschieden. Während der Papa emeritus, wie Michael Ebertz schreibt, eine Strategie der „elitären Minorisierung“ einschlug, die immer in der Gefahr steht, in Selbstbezüglichkeit zu münden, lässt sich das Anliegen von Papst Franziskus als armenorientierte Öffnung beschreiben. Während für Papst Benedikt der Bezug zur theologischen Wahrheit, wie sie die Kirche verkündet, zentral war, steht für Papst Franziskus die Praxis der Gerechtigkeit im Vordergrund.

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Zwischen Depression und Ignoranz: Schritte der Hoffnung

Die Warnungen vor ökologischen Katastrophen, besonders die drastischen, führen bei der Mehrheit der Menschen dazu, dass man das Problem verdrängt und den Kopf in den Sand steckt – ein Phänomen, das sich auch im NSA-Skandal beobachten ließ. Lieber zweifelt man die Glaubwürdigkeit derer an, die auf solche Dinge hinweisen, zumal man den Klimawandel ja nicht unmittelbar zu spüren bekommt, sondern immer nur mittelbar. Je eindringlicher die Warnung, desto größer das Desinteresse – Jeremia lässt grüßen.

Doch auch bei den Menschen, die sich nicht einfach Augen und Ohren zuhalten, wirken sich solche düsteren Botschaften über die Folgen unseres Raubbaus am blauen Planeten negativ aus. Psychologen sprechen, wie Kathrin Bruder in einem sehr lesenswerten Bericht für die taz schreibt, von der doom(er) depression. In Neuseeland und Australien stiegen nach den vielen großen Naturkatastrophen der letzten Jahre die Selbstmordraten in den betroffenen Gebieten spürbar an.

Der Artikel bezieht sich positiv auf die Ansätze der Transition-Bewegung, die nicht nur kognitiv aufklärt und informiert, sondern Menschen zum Gespräch zusammenbringt, bei dem Schmerz und Verzweiflung über die Zerstörung der Schöpfung thematisiert werden können. Auch das Schweigen und die Meditation haben dabei einen Platz, denn über die christliche Mystik besteht eine Brücke zur Tiefenökologie. Aber dann unternimmt man gemeinsam auch konkrete Schritte in Sachen nachhaltiger Lebensstil, jeder fängt da an, wo er kann und wo es Spaß macht.

An dieser Stelle besteht für das westliche Christentum noch ein gewisser theologischer Nachholbedarf, der mir immer wieder auffällt, wenn ich mir wie in den letzten Wochen und Monaten immer wieder den engen Bezug der keltischen Christen zur Schöpfung vergegenwärtige. Sie haben die Welt, in der sie lebten gewiss nicht romantisch und naiv verklärt oder spirituell überhöht, auf der anderen Seite war sie aber auch keine leblose Materie und kein stummes Objekt wie für das moderne Denken seit Descartes. Stattdessen verstanden sie die Schöpfung als Sakrament.

Die enge Verbindung zwischen den Geburtswehen der neuen Welt aus der alten und dem erneuernden Werk des Geistes Gottes, von dem Paulus in Römer 8 spricht, ist uns spätestens im Zuge der Industrialisierung weitgehend abhanden gekommen. Und damit fehlt auch eine prophetische Stimme der Hoffnung im Gespräch über Klimawandel, Energiewende, Rohstoffkrisen und was da noch alles ansteht. Gott, der in der Geschichte Christi rettend eingreift, greift damit auch rettend in die Geschichte seiner Welt ein. In der Abendmahlsliturgie der Iona Community heißt es zum Beispiel:

Liebender Gott, durch deine Güte bringen wir dieses Brot und Wein

die die Erde hervorgebracht und Menschenhände gemacht haben

Lass uns deine Gegenwart erkennen, wenn wir dieses Brot teilen

so dass wir deine Berührung erkennen in jedem Brot und aller Materie

Die weitgehende Reduktion der Umweltpolitik und Ethik auf das Ökonomische jedenfalls hat dem gesellschaftlichen Diskurs bei uns nicht gut getan. Bruder zitiert den Umweltpsychologen Florian Kaiser, der nüchtern das „Rebound-Phänomen“ beschreibt:  „Wer sich nur wegen finanzieller Anreize umweltbewusst verhält, wird zwar reicher, verkonsumiert dieses zusätzliche Geld jedoch wieder, da das Energiesparen ja nicht aus einer inneren Überzeugung herrührt.“

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Transatlantischer Kälteschock

Als Obama seine zweite Amtszeit antrat, haben einige Kommentatoren geschrieben, nun habe er die Chance, doch noch ein großer Präsident zu werden. Eine Wiederwahl sei nicht möglich, nun könne er befreit von Zwängen und Erwartungen das Gute und Richtige tun.

Derzeit sieht es jedoch nach dem Gegenteil aus. Mag sein, dass wir nun Obamas wahres Gesicht sehen, aber den wenigsten dürfte gefallen, was sich da zeigt, nämlich der distanzierte Drohnenkrieger und Datenscanner. Das Komitee für den Friedensnobelpreis wird seine Vorschusslorbeeren vermutlich längst bereut haben. Matthias Rüb hat die Empfindungen vieler in der FAZ schön auf den Punkt gebracht:

Hinter der „coolness“ von Obama verbirgt sich eine kalte Machttechnik, die Wählergruppen, Völker und ganze Weltgegenden nur als Datencluster erfassen kann. Altmodische Tugenden der Diplomatie wie Geschichtsbewusstsein, Verlässlichkeit oder Vertrauenspflege sind Obama fremd. Statt mit Staatsgästen über die Familie zu plaudern und dabei die Grundlage für persönliche und politische Partnerschaft zu schaffen, lässt sich Obama lieber von seinen Adlaten die neuesten Zahlenkolonnen, Abhörprotokolle und Satellitenaufnahmen präsentieren.

Jetzt, wo alle verstehen, wie Obama das mit dem „Zuhören“ unter Verbündeten tatsächlich gemeint hat, sind neue Allianzen gefragt, die dazu helfen, sich technologisch vom allzu großen Bruder und seinen seltsamen Definitionen von Freundschaft und Partnerschaft zu emanzipieren. Ob unsere zukünftige Regierung den Mut hat, für Bewegung zu sorgen, bleibt abzuwarten. Dass allen Ernstes die Herren Pofalla und Friedrich wieder ins Rennen geschickt wurden diese Woche, die sich in dieser Sache ja schon durch außergewöhnlichen Mut und bestechendes Urteilsvermögen ausgezeichnet haben, spricht leider kaum dafür.

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Brandrede vom Feuerwehrhauptmann

Vorgestern habe ich in einem Workshop beim Jugendkirchen-Symposium in Nürnberg eine sehr lebendige Diskussion über Prägungen, Frömmigkeitsstile und die Möglichkeit von Verständigung, ja Bereicherung der verschiedenen Richtungen erlebt. Es ist deutlich zu sehen und zu spüren, dass wir da unterm Strich große Fortschritte gemacht haben in den letzten Jahren.

In den USA hat in diesen Tagen der Hardcore-Reformierte John MacArthur ein neues Scharmützel auf seinem Jahrzehnte dauernden Lieblingskreuzzug absolviert. Auf seiner „Strange Fire“-Konferenz verdammt er die charismatische Bewegung in all ihren Facetten in Grund und Boden. Sie stecke voller theologischer Irrtümer und sei ein Einfallstor des Verführers und Feindes der Auserwählten Gottes. Und mit der Jesus-People Bewegung fing das ganze Elend an: Choräle und Anzüge kamen aus der Mode, Junkies errangen die theologische Lufthoheit. 90% aller Charismatiker und Pfingsten predigen laut MacArthur das Wohlstandsevangelium, viele leugnen die Dreieinigkeit und eine Menge seien obendrein auch noch katholisch, und es werden immer mehr…

Kein Wunder, dass er sich für diesen Rundumschlag prompt den Vorwurf der „Lieblosigkeit“ gefallen lassen musste. Bei einem echten Fundamentalisten – und darum handelt es sich bei MacArthur – kann man sich die Klage allerdings sparen. Denn für ihn gibt es, subjektiv ganz und gar stimmig, kein größeres Verbrechen gegen die Menschlichkeit, als anderen die Wahrheit vorzuenthalten. In MacArthurs Welt sieht es also so aus, dass er aus Liebe zu den anderen unbequeme Dinge sagt und dafür auch noch ungerechtfertigt Prügel bezieht.

Nun wird der Schlipsträger, der da so barsch austeilt, erstens nicht jünger und zweitens ist er in einem selbstbezüglichen, geschlossenen logischen System gefangen, in das von Außen wohl auch deshalb keine Störung mehr eindringen kann, weil man sich drinnen im Besitz der reinen und vollständigen, weil objektivierten Wahrheit weiß.

In Wirklichkeit könnte die Wahrheit so banal sein, wie MacArthurs Verweis auf die Anzüge und Choräle: Da steckt jemand in den Formen, Vorurteilen und Vorstellungen einer weithin vergangenen Zeit fest und kann einfach nicht über seinen Schatten springen. Unfair ist das Ganze nicht nur denen gegenüber, die MacArthur da verunglimpft, sondern auch denen, die er repräsentiert – weithin harmlose, aber eben etwas konservative und ängstliche Christen. Je größer deren Angst, desto loyaler folgen sie ihrem großen Feuerwehrhauptmann. Dafür hat er gerade wieder gesorgt.

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Der (fehlende?) Mut zur „armen Kirche“

Seit Bischof Tebartz-van Elst in Rom ist, hat sich der öffentliche Diskurs um seine Person und Fehler in einen Diskurs um den vermeintlichen oder wahren Reichtum der großen Kirchen, über Kirchensteuern und staatliche Zuschüsse oder Privilegien verwandelt, gestern Abend etwa zu besichtigen bei Günter Jauch, inklusive vielfacher Interpretationen und Relativierungen des Begriffspaars „arm“ und „reich“.

Und nachdem das alles mit negativem Vorzeichen begann, läuft auch diese Diskussion ausgesprochen kirchenkritisch, selbst in einer so konservativen Zeitung wie der FAZ. Unter diesen Umständen von einer Überraschung zu reden, wäre verfehlt. Das alles könnte durchaus ein Indiz sein, wie schnell der Status Quo irgendwann einmal kippen kann – beim nächsten oder übernächsten Skandal, wann auch immer der kommt.

Von der katholischen Kirche war in der Ära Ratzinger gelegentlich von Planspielen zu hören, wie man ohne Kirchensteuer und Staatshilfen zurecht kommt. Vielleicht habe ich das bloß alles nicht mitbekommen, aber arbeitet auch in den evangelischen Landeskirchenämtern jemand ernsthaft an einem Plan B – und wie sähe der eigentlich aus? Müsste das Thema (trotz der denkbaren Sorge, mit einer breiten, öffentlichen Diskussion das Ende der Kirchensteuer am Ende selbst mit herbeizureden) nicht intensiv diskutiert werden? Wie verantwortlich wäre es eigentlich, sie spätestens jetzt nicht ganz intensiv zu führen, etwa um einen kontrollierten und durchdachten statt einen erzwungenen Ausstieg zu ermöglichen?

Beim Netzwerk Kirchenreform finden sich dazu ein paar Anstöße von Paul Zulehner, die an Aktualität eher noch zugelegt haben seit Ihrer Veröffentlichung im Jahr 2007 und gute Hinweise auf die vielen theologischen Implikationen:

Solche bedrückende Reden haben für sich, dass sie wohl einen Kernpunkt der gegenwärtigen Sozialform unserer Kirchen benennen: das Geld. Alternativen sind deshalb nur dann zu entwickeln, wenn man einmal den Mut hat, eine wirklich finanziell arme „Kirche im Volk“ zu entwerfen, statt eben nur die geldgestützt Kirche (die ganz gut auch eine Zeitlang ohne Gott auskommen kann) zumindest einmal zu denken. Zugleich wäre es möglich, in die schrumpfende Gestalt der reichen Kirche Elemente einer armen Kirche probeweise zu implementieren. Dabei könnte sich zeigen, dass gerade in den armen Kirchenparzellen sich viel zukunftsfähige Kraft sammelt.

Eine solche arme Kirche (letztlich eine Kirche nach der Kirchensteuer) wird zudem auch die theologischen Grundlagen der ekklesiogenen, des Kirchenum- und –aufbaus bedenken. Es ist zu wenig, wenn Kirchenumbau lediglich von profanen Beratungsfirmen „gemacht“ wird. Wenn der Herr das künftige Haus der Kirche nicht baut, baut Mc Kinsey umsonst, so in Anlehnung an den Psalm 127. Ekklesiologie ist allerdings vor allem in der protestantischen Theologie kein prioritäres Thema.

… Zwar wird ein missionarisches Grundsatzpapier nach dem anderen angefertigt. Doch will man praktisch höchstens die Menschen ein Stück auf ihrem individuellen Lebensweg begleiten. Ein wenig vom Evangelium soll diakonal in die Biographie implementiert werden. Aber dass Menschen in die Kirche eintreten und zu uns gehören: Das gilt als verwerflich. Die Frage ist dann allerdings, wer dann morgen unsere Arbeit weitermacht und wer missionieren wird. Vor allem aber: Entspricht solche vermeintliche kirchliche Selbstlosigkeit (ist sie mehr als Zweifel an der theologischen Wichtigkeit von Kirche für die heilende Arbeit Gottes in der Welt?) wirklich den Absichten Gottes, seiner Art, sich um das Heil der Welt zu kommen?

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Wortversagen

Eine kleine Geschichte von den Wüstenvätern ist mir die letzten Wochen nachgegangen:

Einige Brüder … gingen, um Abba Felix zu sehen und baten, er solle ihnen ein Wort sagen. Aber der alte Mann blieb still. Nachdem sie lange gebeten hatten, sagte er zu ihnen: „Ihr wünscht, ein Wort zu hören?“ Sie sagten: „Ja, Abba.“

Der alte Mann sagte zu ihnen: „Heutzutage gibt es keine Worte mehr. Als die Brüder noch die alten Männer zu Rate zogen und taten, was ihnen gesagt wurde, da zeigte Gott ihnen, wie sie reden sollten. Aber jetzt, wo sie fragen ohne zu tun, was sie hören, hat Gott den alten Männern die Gnade des Wortes genommen und sie finden nichts mehr zu sagen, weil niemand mehr da ist, der ihre Worte ausführt.“

Als sie das hörten, seufzten die Brüder und sagten: „Bete für uns, Abba.“

Sie steht im Parker Palmers wunderbarem Buch To Know as We Are Known: A Spirituality of Education: Education as a Spiritual Journey. Was Palmer dazu alles zu sagen hat, sprengt den Rahmen dieses Posts (aber wer genug Englisch kann, um es sich zu Gemüte zu führen, sollte es unbedingt tun!). Es geht um Haltungen, die Reden und Hören unmöglich machen. Alle verlieren dabei, denn Weisheit ist nie einfach nur eine Einbahnstraße und den Alten, Wissenden zu den Jungen, Unerfahrenen.

Manchmal scheitert das an Oberflächlichkeiten: Bestimmte Leser, erklärte mir etwa neulich ein Verlagsmensch, nehmen grundsätzlich kein Buch in die Hand, das Fußnoten enthält. Da ist eine ganze Welt der Gedanken, von der sie sich ausschließen, weil sie sich überfordert, eingeschüchtert und deshalb auch oft minderwertig fühlen. Zum Gefühl, an die eigenen Grenzen zu kommen, tritt dann das negative Urteil über die, deren Grenzen an anderen Stellen liegen – die erscheinen plötzlich als eingebildete Theoretiker und mit dieser Etikettierung und diesem Pauschalurteil oder Generalverdacht ist jeder Austausch beendet. Man kann diese zugeschlagene Tür nur von innen öffnen. Sie zu öffnen heißt, dem anderen seine Andersartigkeit nicht zum Vorwurf zu machen.

Zugleich trifft die Geschichte auch die Situation der Christen und Kirchen insgesamt in unserer Gesellschaft. Es gibt Momente, wo man ganz deutlich spürt, dass „die Gnade des Wortes“ nicht vorhanden ist und man „nichts mehr zu sagen“ findet. Darüber kann man sich nun mit Bibelzitaten hinweg setzen (immer sehr beliebt: das Evangelium müsse „zur Zeit und zur Unzeit“ gepredigt werden). Also: Nicht innehalten und warten, sich nicht in Frage stellen, einfach stur weiter machen. Etliche dieser Prediger entwickeln dann eine gewisse Härte, die man ihnen auch deutlich anmerkt.

Schließlich gibt es auch die Unterrichtssituation, wo Lehrende irgendeinen Stoff durchbringen müssen oder Lernende ein zählbaren Erfolgsnachweis brauchen oder in anderer Form nach etwas „Verwertbarem“ (in der der Regel sind das „Informationen“) suchen, ohne sich innerlich wirklich auf das einzulassen, worum es in der Lernsituation geht. Auch hier entsteht keine Gemeinschaft der Wahrheit.

Freilich ist auch Resignation keine Lösung. Den Weg dahin deutet Palmer an, wenn er ganz am Ende des Buches auf Römer 8 verweist. Dort erscheint das Seufzen und das Gebet, mit dem die Geschichte so offen endet:

So nimmt sich auch der Geist unserer Schwachheit an. Denn wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können. Und Gott, der die Herzen erforscht, weiß, was die Absicht des Geistes ist: Er tritt so, wie Gott es will, für die Heiligen ein.

Wahres Gebet bringt uns immer wieder ans Ende unserer Worte und unseres Wissens. Und hier hat dann auch die Trauer über die beschädigte Gemeinschaft zwischen einzelnen, zwischen Gruppen von Menschen und zwischen Mensch und Schöpfung ihren Platz. Zugleich aber ist das Seufzen, das auch ein Seufzen des Geistes ist, ein großer Trost, sagt Palmer: Auch wenn uns die Worte versagen, ist da noch ein Wort für und in uns, und auch wenn die Kenntnisse nicht reichen, sind wir erkannt. Das Seufzen ist der erste Schritt auf dem Weg zu einer authentischen Spiritualität.

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Charisma – ohne „Tick“?

Wir haben uns für die nächsten Wochen ein recht herausforderndes Predigt- und Gesprächsthema vorgenommen. Wie viele andere Etiketten, so ist auch der Begriff „charismatisch“ immer wieder in der Diskussion. Die ist allerdings oft mühsam, denn

  • zum einen sind die verschiedenen Strömungen nur noch schwer voneinander abzugrenzen, seit jeder von jedem lernt – das ist die positive Seite.
  • zum anderen gibt es unter den unterschiedlichen Labels oft auch so viel Peinliches und Absurdes, mit dem man lieber nicht identifiziert werden möchte – die „Ticks“. Vor allem, wenn der Begriff pauschal und polemisch verwendet wird, was immer wieder vorkommt. Viele halten deshalb ja auch das Label „evangelikal“ für verbrannt – zu Recht, wie ich finde.
  • Drittens ist es ein Zeichen von Reife, wenn man sich nicht über Etiketten identifiziert, sondern eine eigene Persönlichkeit entwickelt hat, die solche Denk- und Erwartungsschablonen überflüssig macht. Das gilt für einzelne wie für ganze Gruppen und Gemeinden.

Dennoch wäre es m.E. ein Fehlschluss, wenn man nun meint, mit der Selbstidentifikation als „charismatisch“ (was auch immer damit gemeint sein mag) sei auch das Interesse am Heiligen Geist an sich aufgegeben worden. Die Formen und die Sprache verändern sich freilich für viele. Deshalb sind wir nun dabei, uns ein paar grundlegende Gedanken dazu zu machen, wer der Heilige Geist ist und was er bewirkt – und wie wir im Licht dessen die Praxis der Vergangenheit prüfen (ein eminent spiritueller Vorgang!) können, um das Gute zu behalten und es mit Neuem zu verbinden.

Die erste Station auf unserem Weg ist die Skandalpredigt eines jungen Propheten, der sich auf Gottes Geist beruft und seine Heimatgemeinde in lebensgefährlichen Aufruhr versetzt. Sie steht in Lukas 4,16-30 und wer neugierig geworden ist, was Gottes Geist mit unserer Selbstimmunisierung gegen das Leid anderer zu tun hat – oder schon immer mal wissen wollte, was der „Torentosegen“ ist – kann hier zuhören.

 

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„Keltisches“ Kleeblatt

Das Faszinierende am keltischen Christentum ist für mich und wohl auch für viele andere, dass dort so Vieles zusammenpasst, was bei uns heute sehr oft als Gegensatz und Widerspruch empfunden wird. Das führt häufig zu faulen Kompromissen, bei denen beide Pole zugunsten einer faden Mitte aufgegeben werden, in der nur noch ein bisschen von allem übrig bleibt.

Die iroschottischen Mönche waren höchst bewegliche Pioniere und liebten zugleich die Tradition, sie waren in der Einsamkeit und Stille ebenso zuhause wie in Geselligkeit und Gesang, sie waren behutsame Gastgeber, die sich der seelischen und leiblichen Bedürfnisse fremder Menschen annahmen, und ebenso beherzte Politiker, die mit Macht umzugehen wussten. Sie lebten im Rhythmus der Natur und waren große Künstler ohne jede „Künstlichkeit“.

Ich habe diese vierfache harmonische Spannung einmal mit einem vierblättrigen Kleeblatt veranschaulicht. Alles wächst aus einer gemeinsamen Mitte, der Beziehung zum dreieinigen Gott – daher ist alles grün gefärbt. Manch einer wird den Begriff „Mission“ auch vermissen, aber der ließe sich nicht auf einen Teilaspekt begrenzen; er charakterisiert vielmehr das Ganze. Vielleicht wäre er als Kleeblüte richtig positioniert?

Wer mehr wissen möchte – Freitag und Samstag ist eine gute Gelegenheit dazu!

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Weisheit der Woche: Gewaltlos gegen mich selbst

Passend zum Wochenbeginn: In seinem Facebook-Feed kommentiert Parker Palmer Gedanken von Thomas Merton (s.u.) über die Gefahr des Aktivismus und warum Kontemplation keine Flucht vor drängenden Aufgaben ist. Für alle KontemplAktiven als Ermutigung

Wenn wir in den Rausch der Überarbeitung geraten, tun wir uns selbst Gewalt an und töten „die Wurzel der Weisheit in unserem Inneren, die Arbeit fruchtbar macht“. Die Auswirkungen reichen von unkontrollierbarem Zorn über mürrischen Groll bis zum Ausgebranntsein, sie alle führen zu fehlgeleiteten Aktionen – und nehmen uns letztlich aus aller Aktion heraus.

Wir müssen unser Verständnis von Gewalt erweitern, ein Konzept, das weiter reicht, als jemandem körperlich Schaden zuzufügen. Wir handeln jedesmal gewaltsam, wenn wir unsere Seele oder die eines anderen Menschen verletzen oder nicht achten. Psychologische und spirituelle Gewalt verursachen auf ihre Art eben so viele Schäden wie Gewehrkugeln und Bomben.

Gewaltlos zu leben bedeutet mehr als „du sollst nicht töten“. Es bedeutet „du sollst keine Seele verletzen, deine eigene eingeschlossen“.

 

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Gefährliche Medienschelte

Facebook-Konversationen haben etwas Faszinierendes, sie sind eine Art Stammtisch 2.0, an dem sich eigenartige Äußerungen wiederfinden, die man bislang dem Bierkonsum angelastet hätte. Heute schlug plötzlich in einer ganze Reihe von Posts die mediale Kritik an Bischof Tebartz-van Elst in pauschale Medienschelte um.

„Den Medien“ wird wahlweise Maßlosigkeit, Überheblichkeit, Arroganz, Selbstgerechtigkeit, Häme und mehr attestiert. Und kaum jemand widerspricht diesen Urteilen und der Empörung, die aus ihnen spricht. Plötzlich sind die Überbringer der schlechten Nachricht die eigentlichen Verbrecher. Wahlweise findet man auch alle irgendwie zum Kotzen: Journalisten, Politiker, Bischöfe.

Die Presseberichte, die ich zu dem Thema gelesen habe, waren durchweg sachlich vorgetragen (gut, Springerpresse fehlt in meiner Lektüre, aber wer die liest, ist selbst schuld). Zorn und Empörung sprach bestenfalls aus den Zitaten Betroffener. Es wird öffentlich über eine öffentliche Person berichtet, es wird Kritikwürdiges kritisiert, Fragen gestellt, Äußerungen bewertet. „Die Medien“ kommen ihrem Auftrag nach, die Öffentlichkeit aufzuklären und eine offene Diskussion zu ermöglichen. Bekommen sie dafür Beifall? Eigenartigerweise – nein!

Wer in dieser Situation Medienschelte übt, der spielt den Populisten und Verschwörungstheoretikern in die Hände, die keine kritische Öffentlichkeit wollen, weil sie keine Demokratie wollen. Oder einem System wie dem britischen Staatsapparat, der dem Guardian den Krieg erklärt hat.

Anders gesagt: Vermutlich ohne es zu wollen, arbeiten sie an der Putinisierung Deutschlands.

Liebe Freunde, würdet Ihr Euch das bitte nochmal überlegen?

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Stellt Beichtstühle auf!

Von der Mehrheit der Mitbürger bestenfalls halbherzig beachtet, sind die Nachrichten zum Spähverhalten von NSA & Co in den letzten Tagen eher schlimmer als besser geworden, wie etwa die Aussagen von Lavabit-Gründer Ladar Levison, der seine Firma lieber dicht machte, als die Privatsphäre seiner sämtlichen (!) Kunden zu opfern, oder die Erfahrungen des Schriftstellers Ilja Trojanow, dem die Einreise in die USA ohne Angabe eines Grundes verweigert wurde.

Ein Hinweis darauf, warum nicht mehr Menschen auf die Barrikaden gehen, findet sich am Anfang des sechsten Kapitels von Zygmunt Baumans Collateral Damage. Bauman zitiert seinen Kollegen Alain Ehrenberg, der an einen Herbstabend in den Achtzigern erinnert. Eine gewisse Vivienne erklärte damals in einer Talkshow, sie habe noch nie einen Orgasmus erlebt, weil ihr Mann Michel an vorzeitiger Ejakulation leide. Drei Jahrzehnte später ist das schon so banal, dass man sich wieder mühsam klar machen muss, worin der Tabubruch damals bestand: Etwas ganz Privates aus der intimen Beziehung zweier Menschen wurde in der jedermann zugänglichen Öffentlichkeit ausgebreitet. Zugleich wurde erstmals öffentlich eine Sprache benutzt, die bislang strikt im emotionalen Nahbereich angewandt wurde.

Rückblickend lässt sich sagen, dass seither die klare Unterscheidung zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen zusehends aufgehoben wurde. Das Ereignis markiert den Übergang zur „Beichtgesellschaft“, so jedenfalls lässt sich Baumans Terminus Confessional Society übersetzen, die Enthüllungsgesellschaft, in der das „Hosen runter!“ zum kategorischen Imperativ geworden ist, so dass sich jeder, der auf Privatsphäre besteht, dem Verdacht aussetzt, er habe etwas zu verbergen (oder, schlimmer noch, nichts Interessantes zu vermelden?).

Was zunächst wie der Triumph des Privaten wirkte, das sich in der Öffentlichkeit selbstbewusst behauptete, wurde zum Pyrrhussieg. Der Beichtstuhl, Symbol für den Schutzraum, in dem Privates angemessen zur Sprache gebracht werden konnte, ohne dadurch öffentlich zu werden, ist seither nur noch verwanzt zu denken. Nun werden Dinge nicht mehr vor Gottes Angesicht und in der Gegenwart seines zum Schweigen verpflichteten menschlichen Repräsentanten, sondern vor laufenden Kameras und damit potenziell vor aller Augen enthüllt. Er schreibt:

In einer verwirrenden Kehrtwende gegenüber den Gewohnheiten unserer Vorfahren haben wir den Mut, die Hartnäckigkeit und vor allem den Willen verloren, solche Rechte noch zu verteidigen, diese unersetzlichen Bausteine individueller Autonomie.

In der „festen“ Moderne hat die Furcht vor einer Invasion des misstrauischen, kontrollwütigen Staates in die Privatsphäre des einzelnen die Menschen heftig bewegt. George Orwell schrieb in 1984: „Wenn Sie ein Bild von der Zukunft haben wollen, so stellen Sie sich einen Stiefel vor, der auf ein Gesicht tritt. Unaufhörlich.“ Ergo war man darauf bedacht, das Private vor einem potenziell totalitären System zu schützen, und mit ihm die eigene Autonomie, Identität und Selbstbestimmung. Längst aber hat sich die Situation dem genähert, was Peter Ustinov 1954, seiner Zeit weit voraus, so formuliert hatte: „This is a free country, madam. We have a right to share your privacy in a public space.“

Warum ist die Auflösung des Privaten ein solches Problem? Weil, so Bauman, dessen selektive Enthüllung Nähe und Distanz in menschlichen Beziehungen definierte und damit echte und dauerhafte Bindung ermöglichte. Wo wahllos alles im Leben einer Person zugänglich geworden ist, wo es keine Geheimnisse mehr gibt, da lösen sich diese Bindungen auf. Sich dem anderen zu offenbaren ist kein Vertrauensbeweis mehr und weckt auch kein Gefühl der Verantwortung und Verpflichtung.

Für Sascha Lobo hat mittlerweile die Ära des Pseudoprivaten begonnen, weil die Bürger die Bespitzelung stillschweigend tolerieren, statt sich zur Wehr zu setzen. Verständlich wird die ausbleibende Gegenwehr, wenn man mit Bauman ihre Vorgeschichte betrachtet. Und doch muss man mit Lobo allen, die sich heraushalten, den Vorwurf machen, dass sie momentan im Begriff sind, das längst aufgeweichte Konzept des Privaten nun völlig aufzugeben, ohne zu ahnen, dass wir alle irgendwie Levisons und Trojanows sind.

Vielleicht sollten wir in den Fußgängerzonen demonstrativ Beichtstühle aufstellen, in denen das wieder erfahrbar wird, wie es ist, in einem vor neugierigen Blicken und voyeuristischer „Anteilnahme“ geschützten Rahmen über sich zu sprechen. In Gegenwart eines Menschen, der mich weder neugierig als Stofflieferanten für Klatschgeschichten versteht, den ich auch nicht beeindrucken muss, der mich nicht als potenzielles Sicherheitsrisiko argwöhnisch belauscht, sondern mir zuhört als einem Geheimnisträger, dessen Würde eben darin besteht, sich nicht einmal selbst restlos entschlüsseln und äußern zu müssen – weil dieses Geheimnis meiner selbst bei Gott, und nur bei ihm, aufgehoben ist.

Aus einer in der Begegnung mit Gott gegründeten Souveränität heraus – die keltischen Christen würden von der „Zelle des Herzens“ sprechen – könnte das Götzenhafte des nach Allmacht strebenden Sicherheitsapparates wie auch einer Öffentlichkeit, die alle privaten Kundgaben allmählich und doch unentwegt in seichte Unterhaltung verwandelt und damit aus dem vermeintlich Individuellen etwas völlig Austauschbares macht, endlich sichtbar werden. Wir könnten anfangen, uns gegen diese Ansprüche zur Wehr zu setzen und uns mit denen solidarisieren, die als Feinde des Systems wegen Gehorsamsverweigerung ausgegrenzt und drangsaliert werden.

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Singkrise

Vor einer Woche saß ich (weit weg von hier) in einem Gottesdienst und die Band spielte Matt Redmans berühmtes Lied „Heart of Worship“. Die Story dazu ist vielen bekannt: Redmans Gemeinde stellte fest, dass die Lobpreismusik dabei war, zum Selbstzweck zu werden und Gott selbst in den Schatten zu stellen – gerade weil sie so angesagt und mitreißend war. Also verschrieb man sich eine Phase der Entwöhnung und verzichtete auf die Musik – wie die Katholiken auf die Glocken in der Karwoche. In dieser Zeit entstand das Lied, das davon handelt, dass es nicht um Lieder und Musik geht.

So weit, so gut. Es ist wirklich ein schönes und bewegendes Lied. Und es bringt einen zum Nachdenken…

Redmans Gemeinde hat längst wieder begonnen zu singen und „Heart of Worship“ hat überall auf der Welt begeisterte Aufnahme gefunden. Vielleicht, weil es ein Dilemma anspricht, das viele ganz ähnlich empfinden: das Medium entwickelt eine Eigendynamik, es verdeckt mehr als dass es noch Hinweischarakter hätte, geistliche Musik wird zum Konsumartikel.

Aber reicht es, in einem Lied (unter etlichen anderen) darüber zu singen, dass Singen nicht alles ist und manchmal mehr von Gott ablenkt als zu ihm hinführt, ohne dann auch tatsächlich den Ausknopf zu drücken und zu sehen, was denn wirklich passiert, wenn wir mit leeren Händen dastehen, die Stille tatsächlich aushalten, in der der innere Lärm und die Störgeräusche von nichts mehr übertönt werden – und können wir glauben, dass Gott uns dann auch darin begegnet?

Sollte man dieses Lied eigentlich singen, ohne sich die damit verbundenen Herausforderungen tatsächlich zugemutet zu haben? Anders gefragt: Verhindert es am Ende vielleicht genau den Erneuerungsprozess, den es beschreibt?

 

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Päpstlicher als der Papst

Spiegel Online interviewt den Piusbruder Matthias Gaudron. Seit Papst Franziskus den Traditionalismus und den Klerikalismus ganz unverblümt kritisiert (zuletzt hier), ist der konservative Flügel weiter in die Defensive geraten. Interessant sind vor allem die Argumentationsmuster – als da wären…

  • der Verweis auf die Bekenntnisse und die (wie sich zeigen wird: unverschämte) Unterstellung, den Glauben auf Mitmenschlichkeit zu reduzieren: „Es ist nun einmal so, dass der katholische Glaube etwas Überzeitliches an sich hat. Wenn die einzige dogmatische Sicherheit darin bestehen soll, dass Gott Gott im Menschen ist, halte ich das für ein bisschen wenig. Für diese Vorstellung muss ich nicht katholisch sein. Die Wahrheit des Glaubensbekenntnisses kann auch der Papst nicht ändern.“
  • der – freilich äußerst selektive – Verweis auf den Konsens mit anderen Glaubensgemeinschaften: „Die Überzeugung, dass Homosexualität eine Sünde ist, teilen wir mit Juden und Muslimen, das ist keine Lehre der Piusbruderschaft.“
  • die Koppelung eines rein taktischen und formalen Toleranzbegriffs mit strikt exklusivem Wahrheitsanspruch: „Toleranz bedeutet, dass ich den anderen in seinen Überzeugungen respektiere, auch wenn ich diese für falsch halte, und ihn nicht mit Gewalt zu meinen eigenen Auffassungen bekehren will.“
  • der Verweis auf das Wachstum der eigenen Bewegung und das Schrumpfen der Kirche: „Ja, und deshalb kann uns der Vatikan nicht mehr übersehen. Es ist kein rasantes Wachstum, aber ein beständiges.“
  • die Ankündigung des baldigen Zusammenbruchs: „Die Kirche in Deutschland wird in 15 bis 20 Jahren zusammenbrechen.“

Kennen wir Evangelischen solche Stimmen nicht auch von irgendwoher? Die Piusbrüder würden die verweltlicht-vermenschlicht-verweichlichte Kirche gerne retten, wenn man sie nur ließe. Lassen wir aber das letzte Wort dem Papst, der neulich klar und schön sagte, wie es sich verhält mit Gott und der Menschlichkeit – Gaudron gab es nämlich mächtig verzerrt wieder:

Wenn der Christ restaurativ ist, ein Legalist, wenn er alles klar und sicher haben will, dann findet er nichts. Die Tradition und die Erinnerung an die Vergangenheit müssen uns zu dem Mut verhelfen, neue Räume für Gott zu öffnen. Wer heute immer disziplinäre Lösungen sucht, wer in übertriebener Weise die ›Sicherheit‹ in der Lehre sucht, wer verbissen die verlorene Vergangenheit sucht, hat eine statische und rückwärtsgewandte Vision. Auf diese Weise wird der Glaube eine Ideologie unter vielen. Ich habe eine dogmatische Sicherheit: Gott ist im Leben jeder Person. Gott ist im Leben jedes Menschen. Auch wenn das Leben eines Menschen eine Katastrophe war, wenn es von Lastern zerstört ist, von Drogen oder anderen Dingen: Gott ist in seinem Leben. Man kann und muss ihn in jedem menschlichen Leben suchen. Auch wenn das Leben einer Person ein Land voller Dornen und Unkraut ist, so ist doch immer ein Platz, auf dem der gute Same wachsen kann. Man muss auf Gott vertrauen.

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Mia san Pionia…?

Gestern bei Missio 2013 ermunterte der 81-jährige Bischof em. John Finney in seinem Schlussstatement dazu, einmal zu sehen, was wir an kreativen Experimenten und neuen Gemeindeformen schon haben, auf die sich zukünftig aufbauen ließe, statt nach England zu schielen und von dort „alte Bischöfe einzufliegen“.

Es wäre wunderbar, wenn wir bald an diesem Punkt wären. Und doch hat der Tag gestern gezeigt, wie wichtig es im Augenblick ist, solche Mutmacher zu haben, zumal sie jenseits der internen Konfliktlinien stehen, an denen sich Dinge allzu oft noch festfahren und verhakeln. Der Humor, die fröhliche Unbefangenheit und die kleinen ermutigenden Weisheiten, die er immer wieder einfließen ließ, haben aus einem Vortrag, den vom Inhaltlichen und Sachlichen her auch manch anderer hätte halten können, etwas Besonderes gemacht.

Nachdem ich es heute schon eimal vom Kontext hatte: Finney hat immer wieder darauf hingewiesen, dass alle Mission kontextgebunden ist. Was wir also „importieren“ sollten, sind nicht die Lösungen, sondern die Fragen und den Mut, nicht nur nach dem Nächstliegenden zu greifen, sondern den üblichen Denkrahmen zu überschreiten.

Das selbstbewusste, aber auch oft selbstgefällige „Mia san mia“ gelte oft leider auch in der bayerischen Landeskirche, sagte ein anderer Redner gestern. Vielleicht lässt es sich allmählich in ein „Mia san Pionia“ verwandeln?

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