Denk-würdiger Feiertag

Protestanten haben sich in der Regel mit ihrem Minderheitenstatus irgendwie abgefunden – innerhalb der Weltchristenheit gegenüber den Katholiken und Pfingstlern (die würde ich als einen neuen, postprotestantischen Typ Kirche bezeichnen), innerhalb westlicher Gesellschaften gegenüber den religiös Desinteressierten, Atheisten und Agnostikern.

Einmal im Jahr jedoch, am Reformationstag, zeigen ein paar von ihnen in Luthers Namen der Welt den Stinkefinger, werfen mit Luther-Kamellen um sich, singen inbrünstig Ein Feste Burg und beklagen wahlweise die Überfremdung durch Halloween oder die Geschichtsvergessenheit der Zeit. Allerdings erfolgt dieser Aufstand, zumindest wenn man die plakativeren Parolen ernst nimmt, eben im Namen der eigenen Konfession, Institution und Tradition, deren Profil man zu diesem Anlass möglichst pointiert herauskehrt.

In dieser Hinsicht hinkt der Reformationstag als kirchlicher Feiertag anderen Festen hinterher: ihm fehlt der Bezug zur biblischen Heilsgeschichte. Es sei denn – das wäre die schlimmere Vorstellung – man sähe Luther und die Reformation als deren integralen Bestandteil an und wollte Gott so konfessionell vereinnahmen.

Freilich gibt es auch eine ganze Reihe guter Absichten und nützlicher in den unterschiedlichen Wortmeldungen zum 31. Oktober. Oder nette Ideen, zum Beispiel #95tweets. In und um Twittenberg machen andere mehr oder weniger augenzwinkernd Anleihen bei Luthers grober Polemik gegen Andersdenkende, frei nach dem Motto „hier schmähe ich, ich kann nicht anders“. Aber braucht man dafür einen Feiertag?

Am Wochenende fiel mir eine Broschüre des Erzbistums Bamberg in die Hände. Dort feiert man in diesem Jahr das „Jahr des Glaubens“. Ich war neugierig, welche Wege der Glaubensvermittlung und -vergewisserung dort angeboten würden. Und stellte etwas enttäuscht fest, dass sich alles um die örtlichen Schutzheiligen Heinrich, Kunigunde und Sebald drehte (das ist ein Jahrtausend her) und sich an ehrwürdigen Kirchenbauten festmachte, die ihnen gewidmet waren. Indem man auf die Vergangenheit verweist, verstärkt man aber zugleich auch den verbreiteten Eindruck, Glaube sei etwas Rückwärtsgewandtes, ein Relikt aus dem Mittelalter.

Die Reformation ist zwar nur ein halbes Jahrtausend her, der Blickwinkel auf den Gründungsheiligen und dessen inzwischen doch auch erklärungsbedürftige Thesen ist grundsätzlich derselbe wie bei den Katholiken in Bamberg. Ironie der Geschichte? Gewiss: Erinnerung schadet nicht. Zukunftsfähige Identität und ein robustes Selbstbewusstsein lässt sich aus ihr allein aber nicht gewinnen.

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