Blitzableiter-Mission

Christian Morgenstern hat sich – wie über vieles Andere auch – über manche Eigenarten religiösen Redens lustig gemacht, zum Beispiel in dem Gedicht vom Heiligen Pardauz:

Im Inselwald ›Zum stillen Kauz‹,

da lebt der heilige Pardauz.

Du schweigst? Ist dir der Mund verklebt?

Du zweifelst, ob er wirklich lebt?

So sag ichs dir denn ungefragt:

Er lebt, auch wenn dirs mißbehagt.

Er lebt im Wald ›Zum stillen Kauz‹,

und schon sein Vater hieß Pardauz.

Dort betet er für dich, mein Kind,

weil du und andre Sünder sind.

Du weißt nicht, was du ihm verdankst, –

doch daß du nicht schon längst ertrankst,

verbranntest oder und so weiter –

das dankst du diesem Blitzableiter

der teuflischen Gewitter. Ach,

die Welt ist rund, der Mensch ist schwach.

Der Name „Pardauz“ fällt sofort auf, er gehört zu den aussterbenden Begriffen (heute hieß der vermutlich „boing!“), allerdings war er das zu Morgensterns († 31.3.1914) Zeiten sicher nicht. Aber wer das Wort noch versteht, denkt unwillkürlich an jemand, der durch die Gegend stolpert oder irgendwie linkisch agiert. Und so passt das Linkische und „Kauzige“ zur implizierten vormodernen Weltferne, die in der Kombination von Insel und Wald besteht. Ein verschrobener Einsiedler also.

Es folgt die Auseinandersetzung des Gläubigen mit dem Zweifler. Welche Rolle spielt es denn für den Bewohner der modernen Großstadt, was der Heilige in seinem Hain tut und lässt? Der säkulare Adressat dieser Worte schweigt vermutlich nicht deshalb, weil er zweifelt, sondern weil er das Ganze verständlicherweise für vollständig irrelevant hält, worauf der Gläubige seine missionarische Botschaft mit einem trotzigen „so sag ichs dir denn ungefragt“ intoniert und die Ablehnung seines Gegenübers schon vorwegnimmt („auch wenn dirs missbehagt“).

Solche Töne begleiten die Affirmation des Glaubens: „Er lebt – es gibt ihn wirklich. Er lebt am angegebenen Ort, und das hat auch eine Vorgeschichte, die durch die Gleichnamigkeit mit dem Vater aber ins Zeitlose aufgelöst wird. Und dann wird die Not-Wendigkeit seiner Existenz aus der Warte des Wissenden herablassend („mein Kind“) erläutert: Der Mensch hat als „Sünder“, der er ist (etwa weil er zweifelt?), vom Leben im Grunde nur Böses zu erwarten – darauf deutet die für schaurige Ergänzungen offene Liste der „teuflischen Gewitter“. Allerdings steht der Missionar vor der schwierigen Aufgabe,einem eigentlich recht zufriedenen Sünder dessen gefährliche Lage dringlich bewusst zu machen.

Dabei überfällt ihn, noch während er redet, die fromme Melancholie. Denn es sind aus seiner Perspektive ja gerade die treuen Fürbitten des Heiligen, die dem Sünder eben jene Sorglosigkeit ermöglichen, aus der heraus er die Existenz des Mittlers und „Blitzableiters“ für unerheblich halten kann. „Die Welt ist rund“ (wie bei Sepp Herberger der Ball, zitierte der am Ende also Morgenstern?) und von dieser unumstößlichen Gewissheit aus geht es zur nächsten: „der Mensch ist schwach“.

Und so finden der Missionar und sein widerstrebender Adressat, religiöse und säkulare Weltdeutung, so fremd sie einander bleiben, doch noch einen gemeinsamen Nenner im Fatalismus, der alles beim Alten lässt. In der Schwachheit treffen der überforderte Evangelist und der desinteressierte Agnostiker sich wieder.

Wenn Papst Franziskus diese Woche in Evangelii Gaudium mahnt, Jesus müsse „aus den langweiligen Schablonen befreit werden, in die wir ihn gepackt haben“, gehört dazu auch die Schablone des „Blitzableiters“ (zumal der auch noch den Zorn Gottes abfängt), mit der das Relevanz- und Plausibilitätsproblem wundersam gelöst wird, oder die Schablone mythischer Zeitlosigkeit und Weltferne? Vielleicht wäre endlich auch der Pendelschwung zwischen Trotz und Melancholie überflüssig?

Freilich: Morgensterns Karikatur entspringt ja der puren Lust am Schabernack (ein Wort, so alt wie „pardauz“). Und der ernsthafte Theologe hat längst seinen Psalm 1 gelesen und mit solchen Spöttern rein gar nichts am Hut!

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