Weisheit der Woche: Letzte Worte

Ein nachdenklicher Impuls zum Ausklang dieses Jahres. Aber zuvor: Danke für alle Rückmeldungen und Diskussionsbeiträge und ein gutes neues Jahr Euch allen!

Ich habe Theodore W. Jennings gelesen über das Ringen des Paulus um den Zusammenhalt der jungen Kirche und die Neigung zu innerkirchlichen Machtspielchen, in denen sich eine Gesellschaftsordnung widerspiegelt, die Ausgrenzung für lebensnotwendig hält und so zur Kreuzigung des Messias geführt hat:

Jenen, die viel Aufhebens vom Niedergang des Christentums machen (womit sie freilich den Niedergang ihrer Lieblingsform des Christentums meinen, ihrer Fraktion sozusagen, oder der Fraktion, der sie sich gerne bemächtigen würden), stünde es gut zu Gesicht, wenn sie sich fragten, ob nicht eben jene Spalterei, in der sich die Welt der Spaltung und Unterwerfung [„divide et impera“!] widerspiegelt, die Ursache des Niedergangs ist, den sie beklagen: „Aus diesem Grund sind viele von euch schwach und krank und manche sind gestorben.“ (1.Kor 11,30)

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Von der Genugtuung zur Versöhnung

LeRon Shults geht in The Faces of Forgiveness: Searching for Wholeness and Salvation der Frage nach, wie die Versöhnung zwischen Gott und Menschen in Christus richtig zu deuten ist, und stellt dabei fest, dass viele Sühnetheorien darin ihre Grenzen haben, dass sie technisch und abstrakt sind:

Viele Erörterungen über Vergebung in der frühen Neuzeit beschränkten sich auf eine objektive rechtliche Transaktion, die am Kreuz stattfand. […] Wenn Vergebung auf eine formale juridische Erklärung beschränkt wird, dann wirkt sie sich nicht unmittelbar aus auf die Qual der Schmach und des Zorns, die menschliches Leben in Gemeinschaft erdrücken. (S. 125)

Liest man dagegen in der Bibel nach, dann entsteht ein anderes Bild: Gott schließt (nach den unterschiedlichen Strafaktionen der biblischen Urgeschichte angesichts menschlicher Gewalttätigkeit und Größenwahns) einen Bund mit Abraham, in dem er sich als barmherzig und gerecht zu erkennen gibt. Ersteres rückt in Exodus 34,6-7 (vgl. Num 14,17-18) ins Zentrum:

Jahwe ist ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig, reich an Huld und Treue: Er bewahrt Tausenden Huld, nimmt Schuld, Frevel und Sünde weg, lässt aber (den Sünder) nicht ungestraft; er verfolgt die Schuld der Väter an den Söhnen und Enkeln, an der dritten und vierten Generation.

Die Parallelität von Segen und Strafe wird aber schon in Dtn 24,16 eingeschränkt und in Jona 4,2 gewinnt die Gnade endgültig das Übergewicht: „denn ich wusste, dass du ein gnädiger und barmherziger Gott bist, langmütig und reich an Huld und dass deine Drohungen dich reuen.“ Barmherzigkeit beschreibt das Wesen Gottes also zutreffender als Vergeltung. Bei den Schriftpropheten begegnen wir dann auch der Einsicht, dass Vergebung keine rein kultische Angelegenheit in einem technischen Sinne ist (Gott kann auch „einfach so“ vergeben), sondern dass es vor allem um eine Veränderung des Herzens und Verhaltens geht. Diese Verbindung göttlicher Gnade und menschlicher Veränderung wird in der Erwartung des neuen Bundes bei Ezechiel und Jeremia besonders deutlich.

Die Linie setzt sich im Neuen Testament fort. Besonders interessant ist, dass der kultisch-juridische Begriff der Vergebung (griech.: aphiemi) bei Paulus zurücktritt hinter das „in Christus“ sein und die Wirkung der göttlichen Gnade (griech.: charizomai), auch wenn unsere Bibelübersetzungen in beiden Fällen von „vergeben“ sprechen. Shults stellt fest:

Im Verständnis des Paulus ist Vergebung nicht in erster Linie eine Entscheidung, die auf einem rechtlichen oder finanziellen Bilanzbogen vermerkt wird; sie ist die reale Gegenwart göttlicher Gnade, die menschliche Beziehungen heilt. Sowohl in göttlicher als auch menschlicher Vergebung haben wir es mit der versöhnenden Absicht der Gnade zu tun. Deshalb beschreibt Paulus das Heil im Allgemeinen mit dem weiteren Begriff der Versöhnung. (S. 138)

Diese Verschiebung weg von unpersönlichen Kategorien hin zu Kategorien der Beziehung lässt sich auch – freilich nicht ungebrochen – in der Theologiegeschichte nachweisen. Luther etwa hatte eine ausgesprochene Abneigung gegen den Begriff „Satisfaktion“, für ihn stand nach Ansicht vieler Forscher die Vereinigung mit Christus durch den Gemeinschaft stiftenden Geist Gottes im Zentrum, die auch in Calvins Institutio eine wichtige Rolle spielt, im Altprotestantismus jedoch bald wieder hinter eher mechanistischen Sühnetheorien verschwindet.

Die unpersönlichen Metaphern bringen unter anderem die Schwierigkeit mit sich, dass sie einer Logik folgen, die Vergebung für Täter an den jeweiligen Opfern vorbei denkbar macht, diese also auf das Verhältnis zu Gott beschränkt und die soziale Dimension sündhaften Verhaltens unberührt lässt – ein Gedanke, der dem prophetischen Ruf zur Umkehr wie auch dem priesterlichen Sühnegeschehen fremd ist.

Für uns heute ist diese Verschiebung insofern von größter Bedeutung, als wir nicht mehr wie das Mittelalter und die Antike in einer Ontologie der Substanz denken (in der etwa die Seele von Flecken gereinigt werden muss). In den letzten 100 Jahren ist (wieder näher am hebräischen Denken) die Relation zur entscheidenden Kategorie geworden. Statt metaphysischer Transaktionen ist für uns das Thema relationaler (und damit auch personaler) Transformationen das entscheidende Kriterium, also der ganzheitlichen Heilung und Wiederherstellung von Beziehungen.   

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Inkonsequent konsequent…

Eine konservative theologische Hochschule im Hessischen hat einen pensionierten Pfarrer aus dem Schwäbischen als Dozenten für Apologetik angeheuert. In der dazugehörigen Pressemeldung wird die Aufgabe als „Auseinandersetzung mit kritischen Anfragen gegen (!!) den christlichen Glauben“ beschrieben.

Nun spricht man im Deutschen zwar von Anklagen gegen jemanden, aber Anfragen werden an jemanden gerichtet, nicht gegen ihn. Stellt sich nun die Frage, ob hinter der sprachlichen Inkonsequenz auch eine theologische steht, oder ob die Sprache hier die logische Konsequenz einer Theologie ist, die Kritik und Differenzen als Antagonismus und Feindschaft interpretiert.

 

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Sühne – ein frischer Zugang

Mein Vorschlag, vorübergehend (!!) auf die Sühnemetapher im klassischen Gewand zu verzichten, ist bei manchen Lesern auf empörte Ablehnung gestoßen (Zustimmung gab es freilich auch), andere haben Zweifel geäußert, ob das erstens möglich und zweitens sinnvoll sei. Ich würde nach wie vor beides mit einem nachdrücklichen „ja“ beantworten, aber vielleicht hilft es ja, noch einmal einen Schritt zurück zu gehen.

Kürzlich bin ich in meinen Überlegungen zur Soteriologie auf einen Text gestoßen, den der katholische Theologe James Alison vor fast zehn Jahren geschrieben hat. Alison gelingt es darin, das Motiv der Sühne so zu interpretieren, dass er ihn von den Entstellungen befreit, die sich im Laufe der Auslegungsgeschichte angelagert haben.

Alison setzt ein mit einer wichtigen Unterscheidung. Eigentlich ist das Sühnegeschehen keine Theorie (des Schuldausgleichs zwischen Gott und Menschen), sondern eine Liturgie. Sie ist keine Erklärung, mit der man sich eines „Sachverhalts“ bemächtigt, sondern ein Widerfahrnis. Die Anweisung für den großen Versöhnungstag in Levitikus 16 bringt das deutlich zum Ausdruck. Ich kann Alisons höchst lesenswerte Darstellung hier nicht ausführlich wiedergeben, aber in diesem liturgischen Drama nimmt der Hohepriester die Rolle Gottes ein und vergießt das Blut Gottes, der aus seiner Liebe und Barmherzigkeit heraus das Volk mit sich versöhnt. Das ist in vieler Hinsicht die Umkehr heidnischer Opferkulte, in denen eine zornige Gottheit besänftigt werden muss. Im jüdischen Verständnis, das Paulus später aufgreifen wird, sind wir diese zornige Gottheit, und die Sühne dient dazu, uns von diesem Hang zur Gewalt zu befreien und einen neuen Weg ins Leben zu bahnen.

Das Neue Testament nimmt Sühnemotive an vielen Stellen auf, wie Alison zeigt. Die beiden Engel im leeren Grab an Ostern etwa kennzeichnen den Ort als den neuen Gnadenthron, der Hohepriester brachte sich selbst als „Opfer“ (Alison sagt hier „victim“, nicht „sacrifice“), und er schafft damit nicht etwas Schlechtes ab, sondern er erfüllt etwas Gutes. Jesus tritt an die Stelle einer Serie von Stellvertretungen. Und damit bewirkt er, sagt Alison, einen anthropologischen Durchbruch: Denn auch die rituelle Tötung ist ein Gewaltakt, der auf die menschliche Neigung verweist, ihre Probleme gewaltsam zu lösen – und sei es nur indirekt über einen eigentlich unbeteiligten Sündenbock, der zum Gewaltopfer wird, damit das Leben anderer weitergehen kann.

Im Abendmahl wird das alles liturgisch vergegenwärtigt und wir sind eingeladen, daran teilzunehmen und selbst zum „neuen Tempel“ zu werden. Der Unterschied zwischen dieser Liturgie und den populären Sühnetheorien liegt dabei auch in der ethischen Konsequenz. Eine Theorie kann man zum Kriterium von Rechtgläubigkeit machen und zu einer Linie, die schon wieder sauber trennt, wer nun „drin“ ist im neuen Bund und wer unversöhnt „draußen“ steht. Dagegen stellt uns die Liturgie der Begegnung mit dem Opfer unserer Aggression und Gewalt nicht in die Rolle des Richters, sondern des potenziellen Täters, des „Anderen“, der Gott und seinem Nächsten gegenüber erst noch zum „wir“ finden muss. Diese Begegnung wirft all unsere Vorstellungen von Ordnung und alle Strukturen von Vergeltung über den Haufen. Zugleich erkennen wir – auch das hat Alison wunderschön herausgearbeitet – die eigene Sünde erst richtig, indem wir Gottes Vergebung annehmen:

Someone was approaching you even when you didn’t realize there was a problem, so that you begin to discover, “Oh! So that’s what I’ve been involved in.” Now, this is vital for us: it means that in this picture “sin”, rather than being a block that has to be dealt with, is discovered in its being forgiven. The definition of sin becomes: that which can be forgiven.

… What we are given is a sign of something that has happened and been given to us. What is difficult for us is not grasping the theory, but starting to try and imagine the love that is behind that. Why on earth should someone bother to do that for us? That’s St Paul’s issue. “What then shall we say to this? If God is for us, who is against us? He who did not spare his own Son but gave him up for us all, will he not also give us all things with him?” (Rom 8:31-32)

 

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Deutsch zum Abgewöhnen (8): „besinnlich“

„Besinnlich“ ist ein Ausdruck, der Menschen praktisch nur in der Weihnachtszeit über die Lippen kommt. Er gehört überhaupt nicht zum „normalen“ Repertoire und ist eines dieser Verlegenheitswörter, die man, statt sie im Munde zu führen, vielleicht lieber zum Anlass nehmen sollte, sich der darin zum Ausdruck kommenden Verlegenheit zu stellen.

„Besinnlichkeit“ scheint mir eine Art Platzhalter zu sein, von dem man schon gar nicht mehr so genau sagen kann, wofür er eigentlich steht. Man empfindet eine Ahnung, dass da mal etwas stand, von dem noch ein Abdruck da ist, aber sonst jede substanzielle Spur fehlt. Besinnlichkeit benennt eine Stimmung, in der sich vielleicht der zarte Wunsch nach einer tieferen Besinnung auf „das Wesentliche“ noch widerspiegelt.

Zu letzterer kommt es in der Regel aber gar nicht mehr konkret, weil man entweder nicht weiß, wie man das mit dem Sich-Besinnen praktisch angehen sollte, oder aber in Anbetracht der Mühseligkeit dieses Unterfangens schon zufrieden ist mit dem Platzhalter-Gefühl, dem bloßen Vorhandensein jener Gemütsverfassung, die mir so etwas wie „Tiefgang“ attestiert, ohne dass ich einen Blick in diese womöglich schwindelerregende Tiefe riskieren muss.

Folglich lautet mein Weihnachtswunsch für alle, die diesen Post lesen, dass sie in diesem Tagen zu einer Besinnung finden, die reich und erfüllend genug ist, um jeden Hang zu nebulöser Besinnlichkeit überflüssig zu machen.

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Eins der schöneren Weihnachtslieder

stammt aus der Feder von Don Francisco (hier auf Youtube):

Christmas Song

At the center of the ages
The Lord talks with a girl
And by the words He speaks
He gives a Savior to the world
The time grows to its fullness
And Mary’s Son is born–
The promise’s fullfilment
Lies asleep now in her arms

He didn’t come to terrify
To judge or condescend
To call us all His servants
But to lift us as His friends
To save us all from satan’s power
To reign at his right hand
In the little town of Bethlehem
When God became a man

Today the God of majesty
Has given to the earth
A gift of such magnificence
We could never plumb its worth
And the rudeness of the setting
Just ignites the jewel’s fire
A pearl beyond the greatest price
The joy of man’s desire

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Jungfrauengeburt: Studie mit neuen Erkenntnissen

Ein Freund hat mir die Auswertung einer repräsentativen medizinischen Langzeitstudie der University of North Carolina zugesandt, die kürzlich im British Journal of Medicine erschien. Dort heißt es, dass im Zeitraum von 1995 bis 2008/2009 in einer Gruppe von 7870 Mädchen und Frauen insgesamt 5340 schwanger wurden. 45 von ihnen (0,8%) gaben an, jungfräulich schwanger geworden zu sein, also ohne jemals Geschlechtsverkehr gehabt zu haben (eine Kurzübersicht bzw. Interview gibts hier).

Bemerkenswert sei, so die überraschten Forscher, in dieser Gruppe der hohe Anteil von Frauen mit konservativen Moralvorstellungen, aus dem heraus sie wohl auch sich ausdrücklich verpflichtet hatten, sexuell enthaltsam zu bleiben (30,5% gegenüber 15% bei den anderen Schwangeren). Außerdem befürworteten vergleichsweise viele der betroffenen Jungfrauen den Einsatz von Kondomen (67,8% gegenüber 30,2% in der Gruppe der anderen Jungfrauen), wussten aber über die konkrete Verwendung derselben weniger gut Bescheid.

Interessant fanden die Forscher auch, dass die Eltern der schwangeren Jungfrauen überdurchschnittlich häufig angaben, sich mit Sex und Verhütung nicht besonders gut auszukennen und über das Thema nur selten oder ungern in der Familie zu reden, um die Kinder nicht in Verlegenheit zu bringen.

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High Five: Eine Lebensregel für Aktivisten

Orden und Kommunitäten haben Regeln, an denen sie ihr Leben ausrichten. Viele Ordensleute sind ausgesprochene Aktivisten, und genau deshalb brauchen sie einen gesunden, nachhaltigen Rhythmus der Spiritualität. Solche Regeln sind nicht etwa eine Einschränkung der Freiheit – niemand soll gegängelt werden –, sondern sie dienen dazu, die Prioritäten zu sichern und den langfristigen Kurs zu halten. Die Ansätze der Iona Community und die Northumbria Community habe ich auf diesem Blog schon erwähnt.

Ganz analog hat Joanna Macy in Active Hope eine fünffache Selbstverpflichtung für Aktivisten formuliert, die einer solchen Lebensregel nahe kommt. Viele Teilnehmer ihrer Workshops haben sie übernommen. Sie lautet folgendermaßen:

Ich gelobe vor mir selbst und jedem von euch

  • mich täglich der Heilung der Welt und dem Wohlergehen aller Lebewesen zu widmen
  • auf der Erde leichter und weniger gewaltsam zu leben, was Nahrung, Konsumgüter und Energie betrifft
  • mir Kraft und Wegweisung von der lebendigen Erde schenken zu lassen, den Vorfahren, den künftigen Generationen, und meinen Brüdern und Schwestern jeder Spezies
  • andere in ihrem Einsatz für die Welt zu unterstützen und um Hilfe zu bitten, wenn ich sie brauche
  • ein tägliches Ritual zu befolgen, das mein Denken klärt, mein Herz stärkt und mir hilft, dieses Gelübde zu erfüllen

Interessant ist vor allem der direkte Vergleich mit Iona, da heißt es in ebenfalls fünf Punkten:

  1. Daily prayer and Bible-reading (das entspricht teilweise Punkt 5 bei Macy)
  2. Sharing and accounting for the use of our resources, including money (vgl. Punkt 2)
  3. Planning and accounting for the use of our time (könnte man auch unter 2. subsumieren)
  4. Action for Justice and Peace in society (bei Macy Punkt 1)
  5. Meeting with and accounting to each other (das ähnelt Punkt 4)

Die Unterschiede liegen also im Wesentlichen bei Punkt 3 beider Aufstellungen (und vermutlich klingt für manche der dritte Punkt von Macy nach Esoterik, aber so ist er da m.E. wirklich nicht gemeint). Bei Macy kommen die Mitgeschöpfe nicht nur als Aufgabe oder Leidensgenossen ins Spiel, sondern auch als Verbündete und Kraftquelle. Ich nehme an, das könnten die Iona-Leute durchaus ähnlich sagen. Immerhin trennen sie nicht zwischen sozialem und ökologischem Engagement, wie die Ausführungen zum Punkt 4 der Iona-Regel zeigen:

We believe

  • that the Gospel commands us to seek peace founded on justice and that costly reconciliation is at the heart of the Gospel;
  • that work for justice, peace and an equitable society is a matter of extreme urgency;
  • that God has given us partnership as stewards of creation and that we have a responsibility to live in a right relationship with the whole of God’s creation;
  • that, handled with integrity, creation can provide for the needs of all, but not for the greed which leads to injustice and inequality, and endangers life on earth

Die Übereinstimmungen sind in jedem Fall viel größer als die Unterschiede. Vor allem ist es weit genug, um sich ein Leben lang zu entwickeln und zu wachsen.

Bisherige Posts zu dieser Thematik:

 

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Jacksons Einöde

Als ich das erste Mal den „Hobbit“ hörte, war ich siebzehn, mit dem CVJM campen irgendwo in Norfolk und litt unter akutem Liebeskummer. Ein Highlight, das mich damals aufrichtete, waren die spätabendlichen Lesungen aus Tolkiens Buch durch unseren Gruppenleiter. Ich fieberte immer schon dem nächsten Kapitel entgegen. Mehr noch: Das Zuhören zog mich in die Geschichte hinein, ich war positiv verzaubert.

Als ich gestern Abend das Kino verließ, ging mir nichts aus der Geschichte nach, die ich gerade gesehen hatte. Und es lag nicht daran, dass ich sie schon kannte; sondern daran, dass die Erzählung vom Effektspektakel so verschüttet wird wie die gierige Superechse Smaug unter ihrem vielen Gold.

Keine Frage, die Szenenbilder und Animationen sind vom Feinsten, Jackson hat seine Einöde perfekt ausstaffiert. Aber schon die ausgiebige Kinovorschau des Vorprogramms auf andere Hollywood-Produktionen zeigte, dass dies kein Alleinstellungsmerkmal mehr ist. Irgendwann wird es gähnend langweilig, wenn noch ein Orkkopf rollt, noch ein Elbenpfeil sein Ziel findet (das tun Elbenpfeile nämlich immer), oder Gandalf sich am Rande eines Abgrunds (es ist immer ein Abgrund in der Nähe) mit Fies- und Finsterlingen höherer Ordnung battelt. Das alles haben wir im „Herrn der Ringe“ schon stundenlang zu sehen bekommen. Vor allem aber taugt der Hobbit nicht als Vorlage, um des großen Bruders (auch schon aufgeblähte) Action-Sequenzen zu toppen.

Den Charakteren beim Reden oder gar Nachdenken zuschauen kann man dagegen nur selten. Sie gehen in der Einöde des unablässigen und weitgehend sinnfreien Gebrülls und Gemetzels ziemlich unter. Da hilft auch die hinzugedichtete Romanze mit der schönen und wehrhaften Tauriel (hat Red Bull den Namen gesponsert, die Haarfarbe ließe darauf schließen?) nicht so recht drüber hinweg.

Teil drei lässt noch mehr vom Gleichen erwarten, schließlich findet die große Schlacht trotz all der partiellen Vorwegnahmen im Buch ja erst dann statt. Egal: Ein paar Schritte über den popcornverbröselten Kinoteppich und ich fing an, mich zu wundern, dass so überhaupt keine Neugier aufgekommen war, wie denn nun alles endet. Vermutlich hatte ich sie zusammen mit der 3-D-Brille in den Sack aus Ausgang geworfen.

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Pretty Woman: Erlösung auf die charmante Art

Ein wunderschönes Beispiel dafür, dass auch die Reformatoren andere, frische Metaphern in der Erlösungslehre kannten, findet sich in Luthers Traktat „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Luther spricht im Rückgriff auf mittelalterliche Brautmystik (die findet sich schon bei Bernhard von Clairvaux und bei Franziskus von Assisi) von einer Hochzeit der Seele mit Christus, und so, wie er die Rechtfertigung dann beschreibt, denkt man unwillkürlich an Julia Roberts’ Lachen, bevor sie im Badeschaum versinkt:

Hier beginnt nun der fröhliche Tausch und Streit: weil Christus Gott und Mensch ist, der noch nie gesündigt hat, und seine Rechtschaffenheit unüberwindlich, ewig und allmächtig ist, so müssen die Sünden in ihm verschlungen und ersäuft werden, wenn er die Sünden der gläubigen Seele durch ihren Brautring, d. h. den Glauben, sich selbst zu eigen macht und so handelt, wie er gehandelt hat. Denn seine unüberwindliche Gerechtigkeit ist allen Sünden zu stark; so wird die Seele von all ihren Sünden einzig durch ihr Brautgeschenk, d. h. um des Glaubens willen, frei und los und mit der ewigen Gerechtigkeit ihres Bräutigams Christus beschenkt. Ist das nun nicht ein fröhlicher Hausstand, wo der reiche, edle, rechtschaffene Bräutigam Christus das arme, verachtete, böse Hürlein zur Ehe nimmt und sie von allem Übel befreit, mit allem Guten schmückt?

Aus theologischer Perspektive interessant: Es ist hier wohl nicht der passive Gehorsam, nicht das „Strafleiden“ Christi, sondern seine aktive Gerechtigkeit, deren Kraft und Gewicht jeden Makel seiner Braut augenblicklich verschwinden lässt. Vergebung als „Brautgeschenk“ ist doch eine schöne Vorstellung, und im Gegensatz zu den strengen juristischen oder kühlen ökonomischen Metaphern des Schuldausgleichs ist dieses Bild auch noch etwas fürs Herz, wenn Christus als Prince Charming auftritt und das Herz der Menschheit erobert.

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Der grüne Heilige

Die letzten Tage habe ich in Helmut Felds kurzer und informativer Franziskus-Biografie gelesen und neben manchem schon Vertrauten auch ein paar Dinge entdeckt, die mir noch nicht so bewusst waren. So zum Beispiel diese Episode in der Frühzeit seiner Bewegung:

Franziskus geriet, sowohl aufgrund von Skrupeln wegen der Sünden seiner Jugend als auch wegen der Zukunft seiner Bruderschaft in Zweifel, Ängste und Depressionen. Das änderte sich, als sich Franziskus mit seinen nunmehr sechs Gefährten in das Tal von Rieti begab, das damals noch fast ganz von dem heute zu einem kleinen Teich zusammengeschrumpften See ausgefüllt wurde. Die Bevölkerung dieser landschaftlich sehr schönen Gegend nahm Franziskus freundlich auf.

Die Zuneigung der Menschen und die Schönheit der Natur hatten vor allem auch eine heilende Wirkung auf Franziskus. Es scheint, dass er auch letzteres nicht vergaß. Vielleicht war es auch schon Teil seines Frömmigkeitsmusters, vom den Feld schreibt:

Friedensverständnis und Friedenspraxis des Franziskus wurzeln letztlich in seiner Auffassung von Schöpfung und Erlösung. Nicht nur die „bösen“ Weltleute, sondern auch die Tiere, Pflanzen und Naturelemente sind Kinder eines guten Schöpfers, untereinander Geschwister und zur endgültigen Erlösung bestimmt.

Und in der Betrachtung des berühmten Sonnengesangs kommt Feld zu dem Schluss:

In seinem Verständnis waren die Tiere, die Pflanzen und die großen Naturerscheinungen, wie Sonne, Mond, Erde, Feuer, Wind und Wasser, beseelte Wesen, die von Gott geschaffen und auch zum endgültigen Heil berufen waren.

… Franziskus teilt diese Auffassung [dass alle Geschöpfe Anteil haben an Gottes Leben] mit dem Katharertum seiner Zeit. Doch im Unterschied zu dem katharischen Weltbild, das in der Schöpfung das Werk zweier göttlicher Mächte, der guten und der bösen, sah, erkennt Franziskus in allen Dingen eine „untergründige Güte“ (fontalis bonitas), die ihren Ursprung in einem einzigen, guten Gott hat.

So verstörend seine Haltung zum eigenen Körper und zur Sexualität war, so einfühlsam konnte er wiederum seinen Mitgeschöpfen begegnen. Aus den Berichten seiner Gefährten wissen wir, wie sehr ihm die am Herzen lagen:

Er konnte aus der Fassung geraten, wenn es jemand an Ehrfurcht gegenüber den Kreaturen fehlen ließ (Leg. Per. 86). Dieser Haltung entspricht sein Eintreten für Erhaltung und Schonung der Natur. […] Er sammelte Raupen und Würmer vom Weg ein, damit sie nicht zertreten würden; wenn er im Winter Bienen zu Gesicht bekam, ließ er sie mit Honig und Süßwein füttern, um ihr Überleben zu sichern (I Cel 80). Wenn die Brüder Brennholz schlugen, wies er sie an, den Stamm nicht an der Wurzel abzuhauen, sondern einen Stumpf stehen zu lassen, der wieder ausschlagen konnte; der Gärtner sollte um den (Kloster-) Garten herum nicht kultivierte Landstreifen übrig lassen, damit die wilden Pflanzen und Blumen zu ihrer Zeit Zeugnis geben könnten von der Schönheit des Vaters aller Dinge;

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Missionarische Spiritualität – so wird ein Schuh draus

Ich habe letzte Woche die Einleitung des ökumenischen Missionsdokuments Gemeinsam für das Leben betrachtet. Die eigentliche Darstellung setzt ein beim Wirken des Heiligen Geistes: Geist der Mission: Atem des Lebens, heißt die Überschrift. Die Missiologie aus der Pneumatologie zu entwickeln ist ein cooler Move, und der Einstieg hat es auch gleich in sich. In einem kurzen Abriss wird beschrieben, wo und wie der Geist in der Bibel erscheint, und dann gefolgert:

Die Universalität der Wirksamkeit (Ökonomie) des Geistes in der Schöpfung und die Partikularität des Wirksamkeit des Geistes in der Erlösung müssen zusammen als Mission des Geistes für den neuen Himmel und die neue Erde verstanden werden, wenn Gott am Ende „alles in allem“ ist (§15)

In der Pneumatologie gelingt es, die Partikularität der Erlösung in Christus und Universalität – sie gilt der ganzen Schöpfung – zusammenzuhalten, so dass Mission einerseits als das „Hinausgehen“ der Christen in die Welt erscheinen kann, andererseits ist ihnen der Geist Gottes aber auch dorthin schon voraus gegangen. Mission ist daher nicht erst eine Reaktion Gottes auf den Sündenfall, sondern sie wurzelt schon in der Schöpfung:

Mission ist das Überfließen der unendlichen Liebe des dreieinigen Gottes. Gottes Mission beginnt mit dem Schöpfungsakt. Das Leben der Schöpfung und das göttliche Leben sind miteinander verflochten. […] Wir sind daher aufgerufen, eine enge anthropozentrische Sichtweise zu überwinden und uns auf Formen der Mission einzulassen, die unsere versöhnte Beziehung mit allem geschaffenen Leben zum Ausdruck bringen. (§19)

Unmissverständlich daher auch die Absage an eine Eschatologie der Vernichtung und das Bekenntnis zu einer Eschatologie der Vollendung:

Die Menschheit kann nicht allein gerettet werden, während die übrige geschaffene Welt untergeht. (§23)

Es geht also gerade nicht um Seelenrettung plus Weltverschrottung, sondern um ein versöhntes Miteinander der Menschen mit Gott, mit einander und mit der ganzen Natur. Mission ist daher mehr als nur eine (womöglich mühsame und aufreibende) menschliche Aktivität, von der man sich dann dadurch wieder erholen und regenerieren muss, indem man sich von ihr zurückzieht und sich (statt nach „außen“) nun nach innen oder oben kehrt, sondern sie schließt, richtig verstanden, auch die eigene Heilung und Regeneration schon ein:

Wir neigen dazu, Mission als etwas zu verstehen und zu praktizieren, das die Menschen für andere tun. Stattdessen können die Menschen in Gemeinschaft mit der ganzen Schöpfung daran teilhaben, das Werk des Schöpfers zu feiern. In vielerlei Hinsicht hat die Schöpfung selbst eine Mission im Blick auf die Menschheit; so hat die Natur zum Beispiel eine Kraft, die Herz und Leib des Menschen heilen kann. (§22)

Die häufig anzutreffende Diastase von Mission als einer rein nach außen gerichteten Aktivität („ich tue etwas für andere“) und Spiritualität als einer nach innen gerichteten, strikt rezeptiven Angelegenheit zwischen Gott und Seele („ich empfange etwas für mich selbst“ – die beliebte Metapher des „Auftankens“) ist ein großer Gewinn. Indem wir erfahren, dass wir verbunden sind mit allem, was lebt, werden wir in das lebensstiftende und -rettende Wirken des Geistes in der Welt hineingezogen.

Auf die Frage, wo und wie der Geist denn nun im Besonderen und Konkreten wirkt, kommt das Dokument auf die Gabe der Unterscheidung der Geister zu sprechen und stellt fest,

Wir erkennen den Geist Gottes dort, wo Menschen für das Leben in seiner ganzen Fülle und in all seinen Dimensionen eintreten, einschließlich der Befreiung der Unterdrückten, der Heilung und Versöhnung zerbrochener Gemeinschaften und der Wiederherstellung der Schöpfung. Wir erkennen dort böse Geister, wo die Mächte des Todes und der Zerstörung des Lebens vorherrschen. (§24)

Diese Spannung zwischen lebensfördernden und lebensfeindlichen Mächten ist auch ein Grundzug der Botschaft vom Reich Gottes, die Jesus verkündet hat, und sie stellt auch seine Nachfolger mitten in alle möglichen Konfliktsituationen:

Die Kirchen sind aufgerufen, das Werk des in die Welt gesandten und Leben spendenden Geistes zu erkennen und gemeinsam mit dem Heiligen Geist daran zu arbeiten, Gottes Reich der Gerechtigkeit herbeizuführen (Apostelgeschichte 1,6-8). Wenn wir die Gegenwart des Heiligen Geistes erkannt haben, sind wir aufgerufen, uns ihm zu öffnen, und werden dabei erfahren, dass Gottes Geist oft subversiv ist, uns über Grenzen hinauswachsen lässt und uns überrascht. (§25)

Diese Unterscheidung und Würdigung des Guten gilt auch im Blick auf die unterschiedlichen Kulturen, denn in auch in deren Traditionen und Weisheit begegnen wir dem Geist Gottes. Um als Christen erkannt zu werden, geht es also nicht zuerst um eine möglichst saubere kulturelle Abgrenzung, sondern um ein Leben aus dem Geist und mit seinen Früchten in der jeweiligen Kultur. Und auch das ist eine spirituelle Aufgabe, die aus einer „Spiritualität der Verwandlung“ heraus geschehen muss. Dazu heißt es weiter:

Authentisches christliches Zeugnis findet nicht nur in dem statt, was wir in der Mission tun, sondern auch darin, wie wir unsere Mission leben. Die missionarische Kirche kann nur durch eine Spiritualität gestärkt werden, die in der trinitarischen Gemeinschaft der Liebe verwurzelt ist. Spiritualität verleiht unserem Leben seine tiefste Bedeutung. Auf unserem Weg des Lebens treibt sie uns an, motiviert und aktiviert uns. Sie ist Energie für ein Leben in Fülle und fordert Engagement im Widerstand gegen alle Kräfte, Mächte und Systeme, die Leben verweigern, zerstören und einschränken.

Missionarische Spiritualität ist immer verwandelnd. Sie leistet Widerstand gegen alle Leben zerstörenden Werte und Systeme, wo immer sie in unserer Wirtschaft, unserer Politik und selbst in unseren Kirchen am Werk sind, und versucht, diese zu verwandeln. (§29.30)

Spiritualität wird so verstanden, dass sie nicht etwa der Gegensatz zum Engagement ist, sondern dessen Wurzel und Tiefendimension, daher ist auch keine Spiritualität mehr denkbar, die im Blick auf gefährdetes und beschädigtes Leben gleichgültig bleiben kann. Und mit diesem Gedanken geht es in die Auseinandersetzung mit dem „Mammon“, dem Kapitalismus, den ja auch Papst Franziskus jüngst scharf attackiert hat. Hier findet also gerade ein ökumenisch-ökonomischer Schulterschluss statt:

Die Politik des grenzenlosen Wachstums durch die Herrschaft des globalen freien Marktes ist eine Ideologie, die von sich behauptet, dass es zu ihr keine Alternative gibt, und die den Armen und der Natur eine unendliche Folge von Opfern abverlangt. Sie „verspricht fälschlicherweise, die Welt durch die Schaffung von Reichtum und Wohlstand retten zu können. Sie tritt mit dem Anspruch auf, alle Lebenssphären beherrschen zu wollen, und verlangt absolute Gefolgschaft, was einem Götzendienst gleichkommt“.

Es ist ein globales vom Mammon bestimmtes System, das durch endlose Ausbeutung allein das grenzenlose Wachstum des Reichtums der Reichen und Mächtigen schützt. Dieser Turmbau der Habgier bedroht mittlerweile den gesamten Öko-Haushalt Gottes. Das Reich Gottes steht der Herrschaft des Mammons diametral entgegen. (§31)

So sehr das Papier die verbindende Wirkung des Geistes betont hat, hier wird in aller Deutlichkeit ein Gegensatz benannt, der uns vor eine Entscheidung stellt. Der Kapitalismus ist nicht nur eines von vielen möglichen, geistlich weitgehend neutralen Wirtschaftssystemen, sondern eine Ideologie und Form der Spiritualität, die Leben vernichtet und die Welt spaltet in Besitzende und Mächtige auf der einen, Arme und Ohnmächtige auf der anderen Seite. Hier gilt es, sich zu den Armen zu stellen und dem Geist zu vertrauen, dass er auch ganz überraschend wirkt.

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Nochmal: die Kommentare

Im Sommer habe ich aus verschiedenen Gründen die Kommentarfunktion verändert. Seither ist es nötig, sich zu registrieren, um kommentieren zu können. Manche anonymen Kommentare haben die Diskussion mehr gestört als bereichert, andere haben zwar ihren Namen angegeben, aber dann versucht, sich mit ihren eigenen, oft gewöhnungsbedüftigen Themen und Fragestellungen hier auf Kosten aller anderen breit zu machen. Ich hoffe mal, die bloggen jetzt selbst irgendwo für die Leute, die das interessant finden.

Jede Anmeldung muss zudem erst bestätigt werden (ich habe in dieser Zeit ca. 1.800 Spam-Anmeldungen mit irgendwelchen hotmail- und anderen obskuren Adressen bekommen). Leider hatten und haben etliche treue und geschätzte Gesprächspartner seither Probleme, ihre Kommentare zu posten. In einigen Fällen habe ich einen neuen Benutzer angelegt und dann lief wieder alles rund. Die einzelnen Kommentare gehen jetzt nochmal durch eine Moderationsschleife, aber die werde ich hoffentlich bald wieder abschalten können.

Wer also immer noch Probleme hat, sich anzumelden oder zu kommentieren, melde sich bitte kurz, dann regeln wir das umgehend. An alle anderen – danke für Eure bereichernden Gedanken und auf viele anregende Diskussionen in der Zukunft!

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Rechte Tasche, linke Tasche: Soteriologische Nullsummenspiele?

Ich habe kürzlich ein paar Gedanken zur sprachlichen und bildlichen Verarmung christlicher Erlösungslehre durch die ungesunde Reduktion der metaphorischen Vielfalt auf die Theorie eines stellvertretenden Strafleidens des Messias geschrieben.

Man kann die Problematik wunderschön zeigen, wenn man Texte vergleicht, zum Beispiel den Christus-Hymnus aus Phil 2,5ff und dessen Umsetzung in Rick Founds’ bekanntem „Lord I lift your name on high“. Im vorpaulinischen Hymnus ist weder von Sühne noch von Tilgung irgendeiner Schuld die Rede, sondern von der Selbstentäußerung Christi und seinem aktiven Gehorsam, auf den Gott mit der Auferweckung und Erhöhung antwortet. Bei Fonds wird daraus

You came from heaven to earth to show the way

from the earth to the cross my debt to pay

from the cross to the grave from the grave to the sky, Lord I lift Your name on high

Während es für die frühen Christen durchaus möglich ist, den Weg Christi zu beschreiben, ohne auf derartige Theologoumena zurückzugreifen, füllt Founds, der das eigenständige soteriologische Motiv offenbar nicht also solches erkennt, die gefühlte Lücke mit dem reichlich abgeschmackten Hinweis auf eine noch zu begleichende Rechnung. Derartige Übermalungen sind in vielen geistlichen Liedern aus den letzten beiden Jahrhunderten leider nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Sie sind ein deutliches Symptom für den Verlust, der hier stattgefunden hat.

Da heute kaum noch jemand die Logik der Satisfaktion versteht, ist das längst zum Standardmodell unter den Erlösungstheorien avanciert. Dabei liegt die Problematik der ökonomischen Vorstellung von bezahlter Schuld offen zu Tage, wie diese Frage von LeRon Shults zeigt:

Wenn eine rechtliche oder finanzielle Schuld erlassen wird, dann muss sie nicht beglichen werden. Wenn Gott (oder Gott, der Sohn) die Schuld tatsächlich bezahlt hat (volle Genugtuung geleistet hat), dann braucht Gott nicht mehr zu vergeben. Wenn eine Zahlung geleistet wurde, sollten wir nicht besser von “Ausgleich” reden als von Vergebung?

Wenn Gott von den Menschen eine Zahlung fordert, die diese nicht leisten können, und sie dann am Ende selbst bezahlt, dann ist das in der zugrundeliegenden Logik der Ökonomie ein Spiel mit der linken und rechten Tasche, das man sich auch gleich schenken könnte. Entweder ist die Ausgleichszahlung eine Luftbuchung, weil Geber und Empfänger identisch sind, oder man kann fortan nicht mehr von Vergebung reden – freilich will auf diesen Begriff dann doch niemand, den ich kenne, wirklich verzichten. Wenn mein Sohn mir 50 Euro schuldet, kann ich das Geld zurückfordern oder auf die Forderung verzichten (das wäre Vergebung). Aber wenn meine Frau sie mir ersetzt, habe ich sie meinem Sohn nicht erlassen. Wenn nun meine Frau das Geld von unserem gemeinsamen Konto nimmt, dann wird das Ganze noch etwas verzwickter, ohne dass ich jedoch selbst den Großmut dessen aufbringe, der verzeiht. Dann ist sie an meiner Stelle großzügig und ich bin noch genauso kleinlich oder stur wie immer.

Das Bild vom bezahlten Preis hat zudem – wie auch das vom Sühnopfer – den Nachteil, dass man bestens das Kreuz ohne Auferstehung predigen kann, und so klappert das Osterevangelium allzu oft ganz merkwürdig nach; zumindest für die Soteriologie scheint es ohne Bedeutung zu sein, dass Jesus von den Toten auferstanden ist. Auch das zeigt sich in Founds’ Adaption des Philippertextes, der Menschwerdung und Kreuzigung noch interpretieren kann, und dann etwas hastig mit dem zeitlichen Nacheinander von Grab und Himmel schließt, ohne dem noch irgendeinen inneren Zusammenhang abzugewinnen.

Ohne solche „Verbesserungen“ hingegen ist bei Paulus der Zusammenhang zwischen Tod und Auferweckung, Erniedrigung und Erhöhung wunderschön zu sehen, und nicht nur das, er wird auch sofort zum Grundmuster für das Verhalten der Christen erklärt. Auch diese ethische Dimension fehlt in der Bezahllogik, die die Erlösten bestenfalls zum Dank verpflichtet, aber eben nicht zur Imitatio Christi.

Derzeit wird an vielen Punkten sehr deutlich, dass Ökonomie zu einem großen Teil auch Psychologie ist. Zu fragen wäre also an dieser Stelle, ob das ökonomische Erlösungsmodell der Schuldentilgung nicht eigentlich ein psychologisches Erlösungsmodell ist. Die Absurdität, dass ein unendlich reicher Gott gegenüber uns armen Sündern hier womöglich mit linker und rechter Tasche trickst, wäre dann zweitrangig, in Wirklichkeit ginge es darum, dass er darin seine Zuneigung und sein Interesse an uns zeigt. Ich vermute, im schlichten Glauben vieler, die mit solchen Formulierungen wie denen von Founds großgeworden sind, funktioniert das im Grunde genau so.

Theologisch betrachtet hieße das, dass Abaelard sich durch die Hintertür gegen Anselm durchgesetzt hätte…

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Der Ruf nach dem Stacheldraht

In meinem Stadtteil sollen in Kürze Flüchtlinge eintreffen, die in einem leerstehenden Containerkomplex untergebracht werden. Während sich viele Menschen in der Stadt Gedanken machen, wie man sich gemeinsam um die Neuankömmlinge kümmern kann und was sie in ihrer (alles andere als komfortablen) Wohnsituation brauchen, nachdem sie ihre Heimat verloren haben, macht mindestens ein Anonymer richtig übel Stimmung in einer Sprache, die vor pauschalen Diskriminierungen nur so trieft und Hass auch gegen die verbreitet, die auf die Flüchtlinge zugehen wollen.

Tragisch ist, dass die Denkstrukturen von Angstmache und Ausgrenzung längst in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen sind, selbst wenn man diese Gedanken dort zurückhaltender formuliert. Der Europawahlkampf steht vor der Tür, und man kann in Deutschland beim Thema Zuwanderung – ob das nun Flüchtlinge sind oder Menschen aus anderen EU-Staaten – nur mit Härte punkten, indem man also die Fremden generell zum Problem erklärt, vor dem die Mehrheitsgesellschaft geschützt werden müsse.

Beim Abendessen diese Woche kommentierte mein Sohn das alles mit dem Hinweis, Jesus sei ja auch ein Flüchtling gewesen. Passt nicht nur ins Kirchenjahr, sondern in unsere Zeit überhaupt. Der Flugblattautor übrigens rief Gleichgesinnte zum Kirchenaustritt auf. Diesen Zusammenhang hat er dann doch ganz richtig verstanden.

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