Missionarische Spiritualität – so wird ein Schuh draus

Ich habe letzte Woche die Einleitung des ökumenischen Missionsdokuments Gemeinsam für das Leben betrachtet. Die eigentliche Darstellung setzt ein beim Wirken des Heiligen Geistes: Geist der Mission: Atem des Lebens, heißt die Überschrift. Die Missiologie aus der Pneumatologie zu entwickeln ist ein cooler Move, und der Einstieg hat es auch gleich in sich. In einem kurzen Abriss wird beschrieben, wo und wie der Geist in der Bibel erscheint, und dann gefolgert:

Die Universalität der Wirksamkeit (Ökonomie) des Geistes in der Schöpfung und die Partikularität des Wirksamkeit des Geistes in der Erlösung müssen zusammen als Mission des Geistes für den neuen Himmel und die neue Erde verstanden werden, wenn Gott am Ende „alles in allem“ ist (§15)

In der Pneumatologie gelingt es, die Partikularität der Erlösung in Christus und Universalität – sie gilt der ganzen Schöpfung – zusammenzuhalten, so dass Mission einerseits als das „Hinausgehen“ der Christen in die Welt erscheinen kann, andererseits ist ihnen der Geist Gottes aber auch dorthin schon voraus gegangen. Mission ist daher nicht erst eine Reaktion Gottes auf den Sündenfall, sondern sie wurzelt schon in der Schöpfung:

Mission ist das Überfließen der unendlichen Liebe des dreieinigen Gottes. Gottes Mission beginnt mit dem Schöpfungsakt. Das Leben der Schöpfung und das göttliche Leben sind miteinander verflochten. […] Wir sind daher aufgerufen, eine enge anthropozentrische Sichtweise zu überwinden und uns auf Formen der Mission einzulassen, die unsere versöhnte Beziehung mit allem geschaffenen Leben zum Ausdruck bringen. (§19)

Unmissverständlich daher auch die Absage an eine Eschatologie der Vernichtung und das Bekenntnis zu einer Eschatologie der Vollendung:

Die Menschheit kann nicht allein gerettet werden, während die übrige geschaffene Welt untergeht. (§23)

Es geht also gerade nicht um Seelenrettung plus Weltverschrottung, sondern um ein versöhntes Miteinander der Menschen mit Gott, mit einander und mit der ganzen Natur. Mission ist daher mehr als nur eine (womöglich mühsame und aufreibende) menschliche Aktivität, von der man sich dann dadurch wieder erholen und regenerieren muss, indem man sich von ihr zurückzieht und sich (statt nach „außen“) nun nach innen oder oben kehrt, sondern sie schließt, richtig verstanden, auch die eigene Heilung und Regeneration schon ein:

Wir neigen dazu, Mission als etwas zu verstehen und zu praktizieren, das die Menschen für andere tun. Stattdessen können die Menschen in Gemeinschaft mit der ganzen Schöpfung daran teilhaben, das Werk des Schöpfers zu feiern. In vielerlei Hinsicht hat die Schöpfung selbst eine Mission im Blick auf die Menschheit; so hat die Natur zum Beispiel eine Kraft, die Herz und Leib des Menschen heilen kann. (§22)

Die häufig anzutreffende Diastase von Mission als einer rein nach außen gerichteten Aktivität („ich tue etwas für andere“) und Spiritualität als einer nach innen gerichteten, strikt rezeptiven Angelegenheit zwischen Gott und Seele („ich empfange etwas für mich selbst“ – die beliebte Metapher des „Auftankens“) ist ein großer Gewinn. Indem wir erfahren, dass wir verbunden sind mit allem, was lebt, werden wir in das lebensstiftende und -rettende Wirken des Geistes in der Welt hineingezogen.

Auf die Frage, wo und wie der Geist denn nun im Besonderen und Konkreten wirkt, kommt das Dokument auf die Gabe der Unterscheidung der Geister zu sprechen und stellt fest,

Wir erkennen den Geist Gottes dort, wo Menschen für das Leben in seiner ganzen Fülle und in all seinen Dimensionen eintreten, einschließlich der Befreiung der Unterdrückten, der Heilung und Versöhnung zerbrochener Gemeinschaften und der Wiederherstellung der Schöpfung. Wir erkennen dort böse Geister, wo die Mächte des Todes und der Zerstörung des Lebens vorherrschen. (§24)

Diese Spannung zwischen lebensfördernden und lebensfeindlichen Mächten ist auch ein Grundzug der Botschaft vom Reich Gottes, die Jesus verkündet hat, und sie stellt auch seine Nachfolger mitten in alle möglichen Konfliktsituationen:

Die Kirchen sind aufgerufen, das Werk des in die Welt gesandten und Leben spendenden Geistes zu erkennen und gemeinsam mit dem Heiligen Geist daran zu arbeiten, Gottes Reich der Gerechtigkeit herbeizuführen (Apostelgeschichte 1,6-8). Wenn wir die Gegenwart des Heiligen Geistes erkannt haben, sind wir aufgerufen, uns ihm zu öffnen, und werden dabei erfahren, dass Gottes Geist oft subversiv ist, uns über Grenzen hinauswachsen lässt und uns überrascht. (§25)

Diese Unterscheidung und Würdigung des Guten gilt auch im Blick auf die unterschiedlichen Kulturen, denn in auch in deren Traditionen und Weisheit begegnen wir dem Geist Gottes. Um als Christen erkannt zu werden, geht es also nicht zuerst um eine möglichst saubere kulturelle Abgrenzung, sondern um ein Leben aus dem Geist und mit seinen Früchten in der jeweiligen Kultur. Und auch das ist eine spirituelle Aufgabe, die aus einer „Spiritualität der Verwandlung“ heraus geschehen muss. Dazu heißt es weiter:

Authentisches christliches Zeugnis findet nicht nur in dem statt, was wir in der Mission tun, sondern auch darin, wie wir unsere Mission leben. Die missionarische Kirche kann nur durch eine Spiritualität gestärkt werden, die in der trinitarischen Gemeinschaft der Liebe verwurzelt ist. Spiritualität verleiht unserem Leben seine tiefste Bedeutung. Auf unserem Weg des Lebens treibt sie uns an, motiviert und aktiviert uns. Sie ist Energie für ein Leben in Fülle und fordert Engagement im Widerstand gegen alle Kräfte, Mächte und Systeme, die Leben verweigern, zerstören und einschränken.

Missionarische Spiritualität ist immer verwandelnd. Sie leistet Widerstand gegen alle Leben zerstörenden Werte und Systeme, wo immer sie in unserer Wirtschaft, unserer Politik und selbst in unseren Kirchen am Werk sind, und versucht, diese zu verwandeln. (§29.30)

Spiritualität wird so verstanden, dass sie nicht etwa der Gegensatz zum Engagement ist, sondern dessen Wurzel und Tiefendimension, daher ist auch keine Spiritualität mehr denkbar, die im Blick auf gefährdetes und beschädigtes Leben gleichgültig bleiben kann. Und mit diesem Gedanken geht es in die Auseinandersetzung mit dem „Mammon“, dem Kapitalismus, den ja auch Papst Franziskus jüngst scharf attackiert hat. Hier findet also gerade ein ökumenisch-ökonomischer Schulterschluss statt:

Die Politik des grenzenlosen Wachstums durch die Herrschaft des globalen freien Marktes ist eine Ideologie, die von sich behauptet, dass es zu ihr keine Alternative gibt, und die den Armen und der Natur eine unendliche Folge von Opfern abverlangt. Sie „verspricht fälschlicherweise, die Welt durch die Schaffung von Reichtum und Wohlstand retten zu können. Sie tritt mit dem Anspruch auf, alle Lebenssphären beherrschen zu wollen, und verlangt absolute Gefolgschaft, was einem Götzendienst gleichkommt“.

Es ist ein globales vom Mammon bestimmtes System, das durch endlose Ausbeutung allein das grenzenlose Wachstum des Reichtums der Reichen und Mächtigen schützt. Dieser Turmbau der Habgier bedroht mittlerweile den gesamten Öko-Haushalt Gottes. Das Reich Gottes steht der Herrschaft des Mammons diametral entgegen. (§31)

So sehr das Papier die verbindende Wirkung des Geistes betont hat, hier wird in aller Deutlichkeit ein Gegensatz benannt, der uns vor eine Entscheidung stellt. Der Kapitalismus ist nicht nur eines von vielen möglichen, geistlich weitgehend neutralen Wirtschaftssystemen, sondern eine Ideologie und Form der Spiritualität, die Leben vernichtet und die Welt spaltet in Besitzende und Mächtige auf der einen, Arme und Ohnmächtige auf der anderen Seite. Hier gilt es, sich zu den Armen zu stellen und dem Geist zu vertrauen, dass er auch ganz überraschend wirkt.

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