Deutsch zum Abgewöhnen (8): „besinnlich“

„Besinnlich“ ist ein Ausdruck, der Menschen praktisch nur in der Weihnachtszeit über die Lippen kommt. Er gehört überhaupt nicht zum „normalen“ Repertoire und ist eines dieser Verlegenheitswörter, die man, statt sie im Munde zu führen, vielleicht lieber zum Anlass nehmen sollte, sich der darin zum Ausdruck kommenden Verlegenheit zu stellen.

„Besinnlichkeit“ scheint mir eine Art Platzhalter zu sein, von dem man schon gar nicht mehr so genau sagen kann, wofür er eigentlich steht. Man empfindet eine Ahnung, dass da mal etwas stand, von dem noch ein Abdruck da ist, aber sonst jede substanzielle Spur fehlt. Besinnlichkeit benennt eine Stimmung, in der sich vielleicht der zarte Wunsch nach einer tieferen Besinnung auf „das Wesentliche“ noch widerspiegelt.

Zu letzterer kommt es in der Regel aber gar nicht mehr konkret, weil man entweder nicht weiß, wie man das mit dem Sich-Besinnen praktisch angehen sollte, oder aber in Anbetracht der Mühseligkeit dieses Unterfangens schon zufrieden ist mit dem Platzhalter-Gefühl, dem bloßen Vorhandensein jener Gemütsverfassung, die mir so etwas wie „Tiefgang“ attestiert, ohne dass ich einen Blick in diese womöglich schwindelerregende Tiefe riskieren muss.

Folglich lautet mein Weihnachtswunsch für alle, die diesen Post lesen, dass sie in diesem Tagen zu einer Besinnung finden, die reich und erfüllend genug ist, um jeden Hang zu nebulöser Besinnlichkeit überflüssig zu machen.

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